166 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
einheitliche Regel. Die Entwicklung ist in den einzelnen Territorien den geschicht-
lichen Ereignissen folgend, sehr ungleich gewesen; die Zusammensetzung solcher Ter-
ritorien gestaltete sich daher sehr mannigfaltig. Aber die Grundlage wurde auch in
diesen komplizierteren Fällen die Entstehung und Ausbildung eines Hochgerichts-
bezirkes. Es war das nichts anderes als eine Verschiebung der Grafengewalt. Sie war
auf andere Gebietsteile verlegt worden. Es war auf dieser Grundlage ein neues Hoch-
gerichtsgebiet erwachsen und ausgestaltet worden, das dann zum Fundament des
landesherrlichen Territoriums wurde.
Den weltlichen Territorien ist auch eine Reihe städtischer, insbesondere reichs-
städtischer Territorien zuzuzählen. Diese Städte haben einen größeren Umkreis aus
dem umliegenden Grafschaftsverbande für sich auszuscheiden verstanden und für
diesen eximierten Bezirk die Grafschaftsrechte selbst erhalten. Auch hier ist dem-
naeh der neue Hochgerichtsbezirk die Grundlage des Territoriums.
In den geistlichen Fürstentümern war die Territorialbildung schwieriger und
vollzog sieh deshalb auch langsamer als in den weltlichen. Der innere Grund lag darin,
daß nach kirchlicher Vorschrift die geistlichen Herren den Blutbann nicht selbst führen
durften und infolgedessen die ihnen an sich zustehende Hochgerichtsbarkeit von
Vógten ausgeübt wurde. Das aber waren selbst vornehme Fürsten und Herren, die
von den geistlichen Fürsten mit der Hochgerichtsbarkeit belehnt wurden.
Diese Hochgerichtsbarkeit stammte aus zweierlei Herkunft; es waren einerseits
Immunitäten!), anderseits ganze Grafsehaften. Die geistlichen Herren hatten. die
Hochgerichtsbarkeit als Immunität in ihrer vollsten Ausbildung?) über ihren Grund-
besitz und auch darüber hinaus über einen Bannbezirk erworben. Dazu haben viele
geistliche Herren, insbesondere Bischófe und Erzbischófe, noch ganze Grafschaften,
bisweilen mehrere, erhalten. Diese Immunitéts- und Grafschaftsgerichtsbarkeit
haben die geistlichen Fürsten benachbarten weltlichen Herren verliehen, die zwar diese
Gerichtsbarkeit im Namen der geistlichen Eigentümer ausübten, aber das ganz natür-
liche Bestreben hatten, die geschichtliche Auswirkung der auf die Hochgerichtsbar-
keit gegründeten Stellung für sich zu nutzen. Die territorialbildende Kraft der Hoch-
gerichtsbarkeit kam daher vielfach nicht den nominellen Eigentümern, sondern viel-
mehr den tatsächlichen Inhabern zustatten. Mit den geistlichen Fürstentümern
hingen diese Hochgerichte nur durch das im Laufe der Zeit durch die Erblichkeit
immer lockerer werdende Lehnsband zusammen. Nur beim Aussterben eines Ge-
schlechts fiel das Lehen vorübergehend an den geistlichen Herrn zurück. Die welt-
lichen Nachbarn hatten ihrerseits ein großes Interesse daran, ihre Territorien auf
Kosten der geistlichen Fürstentümer durch Erwerb solcher Vogteilehen über geist-
liche Immunitäten und Grafschaften zu erweitern, da gerade die Hochgerichtsbarkeit
ihnen für ihre eigene Territorialbildung sehr begehrenswert war. So sind gerade die
Hochgerichtsbezirke der Immunitäten und Grafschaften den geistlichen Fürsten für
ihre Territorialgestaltung verloren gegangen, wührend sie bei weltlichen Herren auBer-
ordentlich zur Territorialbildung beigetragen haben. Dieser Verlust tritt bei der
geistlichen Macht mehr an den Ründern ihres Gebiets ein, wührend er im eigentlichen
Kern, bei der Residenz, durch das Übergewicht des geistlichen Herrn eher vermieden
werden konnte.
Beim geistlichen Fürstentum hat das Grundeigentum eine noch höhere Bedeu-
1) Dorscu aaO. 2 S. 117 sieht daher ,,die Anfánge und Wurzeln der Ausbildung der bischóf-
lichen Fiirstenmacht in der Karolingerzeit.
, 2) S. o. S. 851. Immunitüten, die nicht zur vollen Ausbildung gelangten, nicht Hochgerichts-
barkeit und Besteuerungsrecht erwarben, wurden nicht die Unterlagen zur Territorialbildung. Ob
die höchste Stufe der Immunität erreicht wurde, hing oft von Zufälligkeiten ab, manchmal von
kräftigen Vögten. AUzın aaO. S. 283.