Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

    
168 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw. 
gewonnen, fremde Herren beseitigt, selbständige Gebiete unterdrückt werden. Das 
geistliche Fürstentum, dem vieles entfremdet worden war, hat lange Anstrengungen 
machen müssen, um einen Teil des Verlustes wieder einzubringen. Auch bei den 
weltlichen Territorien hat es einer langwierigen Kleinarbeit bedurft, bis alle Hemm- 
nisse und entgegenstehenden Gewalten überwunden waren. Der innere Verschmel- 
zungsprozeß hat allmählich die Unterschiede der verschiedenen Besitztitel verwischt 
und ein einheitliches Land, die terra, das Territorium unter der Herrschaft eines 
Landesherrn daraus gemacht. 
Für die Reichsregierung ist diese Territorialbildung ein Gewinn gewesen; denn 
sie verhinderte die völlige Auflösung des Reichs in machtlose kleinste Teile. Durch 
Bildung geschlossener Territorien und fester Einheiten ist immerhin noch mancher 
Zusammenhalt gerettet worden, als das Reich schon in Trümmer auseinander- 
zufallen drohte. Das war für das staatliche Prinzip von besonderem Wert; denn grö- 
Bere Territorien waren für die Erfüllung óffentlicher Aufgaben besser geeignet als 
kleine Splitter. 
3. Die Entstehung der Landeshoheit. 
Literatur: J. BERCHTOLD, U. SruTZ, Haws FEgug, F. KzuTrGEN, H. AUBIN s. 0. $2 G 
y. BELOW, Landständische Vig. in Jiilich und Berg. Bd. 1. 1885. A. Dorsch, Die Bedeutung Al- 
brechts I. für die Ausbildung der Landeshoheit in Osterreich (Bll. d. V. f. Landeskunde von Nieder- 
osterreich NF. Bd. 27) 1893. Ders., Reformkirche und Landesherrlichkeit in ÓOsterreich (Fest- 
schrift d. akad. V. deutscher Historiker in Wien). 1914. O. v. DUNGERN, Die Entstehung der Lan- 
deshoheit in Österreich. 1910. Dazu Rez. Dorsch MIÖG. 33. S. 701ff. H. WoPFNER, Landeshoheit 
und landesherrliche Verwaltung in Brandenburg und Österreich. MIÓG. 32. S. 574. R. FÜLLE, 
Markgraf Wilhelms I. landesherrliche Tätigkeit in der Mark MeiBen 1382—1406. Leipzig Diss. 
1912. O. JüRaENS, Die Landeshoheit im Fürstentum Osnabrück bei Beginn des Erbfolgekrieges. 
Góttinger Diss. 1888. Von Dissertationen, die sich mit der Entstehung der Landeshoheit beschäf- 
tigen, heben wir folgende hervor: für Osnabrück: K. SorP, Tiibinger Diss. 1902; für Trier: F. Rv- 
poLPH, Tiibinger Diss. 1905; fiir die Landeshoheit der Trierer Erzb. zwischen Saar, Mosel und 
Ruwer: Fr. RônriG, WZ. Ergh. 13, 1906, dazu Rez. S. RIETSCHEL, VSozWg. 5, 1907; für die Graf- 
schaft Mark: W. Marré, Münster Diss. 1907, dazu Rez. ILGEn, WZ. 26, Korrespondenzbl. 11 u. 
12, 1907; für Hildesheim: O. MULLER, Heidelberger Diss. 1808; fiir Minden: B. Frız, Münster Diss. 
1909, Münstersche Beiträge z. Geschichtsforschung 18. 
Die Landesherren, die uns am Ende des MA. begegnen, sind nicht identisch mit 
den Fürsten. Zwar sind die Reichsfürsten alle Landesherren geworden, aber nicht alle 
Landesherren sind Fürsten. Unter den Landesherren befinden sich demnach Fürsten 
und Nicht-Fürsten; denn das Grafenamt gab den Ausschlag. Dies aber besaßen so- 
wohl Herzöge, Markgrafen?) und der Pfalzgraf, die Reichsfürsten geworden waren, als 
auch einfache Grafen, die es nicht zum Reichsfürstenrang gebracht haben. 
Die Grundlage für die Landeshoheit ist die Hochgerichtsbarkeit; nur Inhaber 
der Hochgerichtsbarkeit sind Landesherren geworden. Der natürliche Träger der 
Blutgerichtsbarkeit ist der Graf; deshalb ist auch der Verwalter des Grafenamtes 
der gegebene Anwärter auf die Landeshoheit. Insofern als auch mit der Immunität 
der Blutbann verbunden wurde, ist auch der Inhaber dieses Immunitätsblutbanns 
fähig, seine Gerichtsbarkeit zur Landeshoheit zu steigern. Eine gewisse Geschick- 
lichkeit in der Ausnutzung günstiger Momente, örtlicher und politischer Verhältnisse 
gehört hinzu. Überhaupt darf die Persönlichkeit der aufstrebenden Landesherren 
nicht unterschätzt werden; es sind meist kraftvolle Herrschernaturen, denen schwä- 
chere Gegner gegenüberstehen. 
Das Entscheidende für die Entstehung der Landeshoheit war die Auffassung, daß 
der Landesherr die volle Gerichtsgewalt kraft eigenen Rechtes besitze. Das Lehns- 
wesen hatte vorgearbeitet insofern, als es das Grafenamt in ein Gerichtslehen um- 
gewandelt hat; das Gerichtslehen war schließlich erblich geworden, und das Bewußtsein 
1) Der Markgraf war besonders günstig gestellt. S. o. S. 122f. 
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
   
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
   
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.