170 loys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
städte, er sichert ihnen in ihrem Territorium das Geleitsrecht und unterstellt ihnen
die Niedergerichte. Er bestätigt den Fürsten alle erworbenen Rechte und verspricht
ihnen, sie darin zu schützen gegen den Zugriff ihrer Widersacher, seien es Vögte
oder Reichsstädte oder aufstrebende niedere Gerichtsherren.
Durch den Verzicht des Königs auf Hoheitsrechte gehen zwar diese nicht ohne
weiteres auf die Landesfürsten über; aber es ist nur eine natürliche Folge, daß sie
die frei werdenden Hoheitsrechte im weiteren Verlaufe für sich selbst in Anspruch
nehmen. Die häufige Abwesenheit Friedrichs II. vom Reich und die bald darauf
folgende Zeit des Interregnums begünstigt naturgemäß diese Entwicklung.
Der König verliert allen maßgebenden Einfluß auf die öffentlichen Verhält-
nisse im landesherrlichen Territorium. Das war schon durch das Lehnswesen für das
Grafschaftslehen vorbereitet worden. Der Konig hatte das Lehen nicht mehr durch
Exemtionen verkleinern dürfen. Der Landesherr verfügt jetzt selbständig über die
Substanz des alten Lehens. Er ist es, der jetzt Exemtionen erteilt, und er schreitet
sogar mitunter zur Teilung der Grafschaft.*) Er ist auch imstande, Teile des Terri-
toriums zu verpfänden.
Die Ausschaltung des Königs zeigt sich auch darin, daß der Landesherr in sei-
nem Territorium die oberste Schutzgewalt für sich in Anspruch nimmt. Der landes-
herrliche Schutz tritt an die Stelle des Königsschutzes.
Anfangs gelingt es dem Landesherrn noch nicht, die volle Militärhoheit im Terri-
torium zu gewinnen; der Kónig bleibt oberster Kriegsherr. Der Heerbann bleibt,
wo er noch gehandhabt wird, Kónigsbann. Der Kónig hat das alleinige Recht, das
Aufgebot für den Reichskrieg zu erlassen. Ein selbstündiges Aufgebotsrecht steht
dem Landesherrn nicht zu. Aber das direkte Aufgebot des Kónigs schwindet dahin,
und der Landesherr schiebt sich auch hier zwischen den Kónig und den Krieger.
Der Landesherr wird Vermittler für den Reichskriegsdienst der in seinem Territo-
rium wohnenden Heerespflichtigen. Bei der Entstehung der Landeshoheit hat dem-
nach eine Militärgewalt des Grafen nicht mitgewirkt. Die militärischen Befugnisse
des Grafen waren zu gering, als daß sie eine Steigerung der Grafengewalt zur landesherr-
lichen Gewalt hätten herbeiführen können. Aber die schon ausgebildete Landesherrlich-
keit schafft sich eine Heeresgewalt. Für die Zwecke des eigenen Territoriums erwächst
aus Not beim feindlichen Einfall zunächst ein Recht auf die Hilfe der Bewohner zur
Verteidigung. Je mehr sich das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit von Land und
Landesbewohnern festigt, desto mehr gewinnt der Landesherr eine hilfsbereite Mann-
schaft für den Schutz des Territoriums. Im übrigen geht der Landesherr von den an
sich nur noch geringen staatsrechtlichen Befugnissen des Grafen im Heerwesen und
von den. meist größeren lehnsherrlichen Rechten aus, um sich eine Militärhoheit zu
schaffen.
Mit dem steigenden militärischen Ansehen hängt auch zusammen, daß der
Landesherr das Befestigungsrecht für sich in Anspruch nimmt. Nur der Landesherr
baut noch Burgen, nachdem der König im landesherrlichen Territorium darauf hatte
verzichten müssen. Den Burgenbau Privater weiß der Landesherr zu unterdrücken,
jedenfalls von seiner Einwilligung abhängig zu machen. Nur er kann die Errichtung
von Burgen im Territorium gestatten. Selbst auf Reichsgut, das als Enklave ein-
gesprengt im Territorium liegt, darf manchmal nicht ohne Genehmigung des Landes-
herrn eine Reichsburg erbaut werden.?) Das landesherrliche Befestigungsrecht macht
hier sogar seinen Einfluß auf das Reichsgut geltend.
Vielleicht am wichtigsten für die Stärkung der Landeshoheit ist es, daß die Lan-
1) KEUTGEN aaO. S. 138.
2) FEHR aaO. S. 129.