172 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
keitliche um. Es ist auch dieses Ergebnis erst durch ein langwieriges Ringen gezeitigt
worden. Anfangs haben Städte und Allodialherrschaften sowie niedere Gerichtsherr-
schaften eine allgemeine öffentliche Gewalt des Landesherrn nicht anerkennen wol-
len. Er hat sich jedoch im Laufe der Zeit durchgesetzt, er hat es verstanden, über
die alten Befugnisse des Grafenamtes hinauszugreifen und so die Amtsgewalt des
Grafen zu einer allgemeinen Herrschaftsgewalt zu erweitern.
Dazu mußte der Unterschied verwischt werden, der in seinem Verhältnis zu
den verschiedenen sozialen Schichten seines Territoriums bestand. Seine Beziehungen
zu den Grafschaftsleuten, Vogteiinsassen, Schatzleuten und zu den Unfreien mußte
er zu vereinheitlichen suchen. Die Verschiedenheit der öffentlichen Steuer der einen
und der privatrechtlichen Abgaben der anderen wurde verdunkelt. Es galt, die ôf-
fentlichen und die privaten Rechte einheitlich zu behandeln. Das geschah am leich-
testen, wenn man ihre Handhabung in die Hand einer und derselben Person legte.
Ein wichtiges Mittel dazu war die Einführung eines neuen Beamtentums. Zu-
nächst hatte man es mit dem Ersatz der erblichen Lehnsträger durch Dienstmannen
versucht. Insbesondere die geistlichen Landesherren mußten, als die Lehnsvögte und
Lehnsgrafen sich der landesherrlichen Einwirkung des geistlichen Fürsten entzogen,
sich mehr auf das Villikations-Beamtentum stützen. Die Ministerialenmeier sind
nicht mehr bloß Wirtschaftsbeamte, sondern sie haben vielfach eine niedere Gerichts-
barkeit und werden dann auch höhere Aufsichtsbeamte.!) Das ursprünglich grund-
herrliche Beamtentum ist so ein öffentlich-rechtliches Beamtentum geworden. Die
grundherrlichen Hofgerichte erhalten öffentliche Gerichtsbarkeit, wenn auch niederer
Art, und werden so in den Verwaltungsapparat des Territoriums eingestellt. So wer-
den diese Ministerialen öffentliche Beamte, die als Verwaltungsbeamte und als Burg-
mannen friedliche und kriegerische Dienste dem Territorium widmen. Aber auch die
Ministerialenämter wurden erblich und entzogen sich dadurch der freien Verfüg-
barkeit des Landesherrn. Der Landesherr muB mit dieser Erblichkeit brechen.
Zuerst schwindet der lehnsrechtliche Charakter der Beamten auf dem Grundeigen-
tum?) des Landesherrn. Die Lehnstrüger werden durch absetzbare Beamte ersetzt.
Dann wird dies Mittel auch bei dem übrigen Beamtentum nachgeahmt. Der neue
Beamte, der nur auf Zeit angestellt ist, heibt officialis, Amtmann. Die Schöpfung
dieses Beamtentums ist die bedeutendste Leistung der landesherrlichen
Macht.
Der Amtmann erhált seimen Amtssitz auf der Burg. Von den Burgen geht dann
die Neubildung der Amísbezirke aus. Der Landesherr begründet durch die Zusam-
menlegung der früher verschiedenartigen Befugnisse in der Ausübung von Grafen-
rechten, Vogteiverwaltung und Gerichtsherrschaft einheitlich in die Hand eines Amt-
manns eine neue gleichfôrmige Organisation. Und diese Einrichtung ist ihm als dem
Herrn und Auftraggeber des Amtmanns straff unterstellt. Diese Beamtenschaft er-
moglicht erst ein territoriales staatliches Leben.
Die territoriale Staatsgewalt kommt zum Ausdruck durch den Begriff dominus
terrae; er kennzeichnet, dab eine gewisse Einheitlichkeit der Herrschergewalt er-
reicht ist.3)
1) Zuweilen steht über ihnen ein Vizedom (vicedominus, Vitztum), oder es sind auch meh-
rere Bezirke des Grundbesitzes unter einen Vizedom gestellt. STrwwiNG aaO. S. 53 hat für Mainz
vier vicedomini nachgewiesen. Sie erhalten auch die hohe Gerichtsbarkeit (S. 148).
2) H. Ausin, Die Verwaltungsorganisation des Fiirstbistums Paderborn im MA. 1911; W.
HüskEn, Entstehung der Aintsverfassung im Herzogtum Westfalen. 1909. ,
AN. ^ 9n. 7 al . : « . 3
: 3) KEUTGEN aaO. S. 195: „Das Verhältnis des „dominus terrae‘ zu seiner ,,terra‘ ist als
imperium, nicht als dominium aufzufassen.“