Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
Aus ganz verschiedenen Wurzeln sind unsere Städte!) erwachsen.
Drei verschiedene Gruppen von Städten treten uns deutlich entgegen: die
Bischofsstädte am Rhein und an der Donau, wo einst Römerstädte gestanden hatten,
die seit dem 9.Jh. auch im Inneren Deutschlands an geeigneten Verkehrszentren sich
entwickelnden volkreichen Plätze?), die später zu Städten erhoben wurden, und die
seit Ende des 11.Jhs. hervorgerufenen Gründungen nach dem Vorbild anderer be-
stehender Städte.
Der Entstehung nach müssen wir zwei Arten von Städten unterscheiden:
Städte, deren Verfassung sich allmählich entwickelt hat, und solche, deren Verfassung
durch einen Gründungsakt hervorgerufen ist. Zu den ersten gehören vor allem die
Römerstädte wie Köln, Straßburg, Augsburg, die ihre römische Verfassung verloren
haben, in denen aber ganz allmählich eine neue Verfassung mehr gewohnheitsrecht-
lich sich ausbildet, ohne daß sie durch einen besonderen gesetzgeberischen Akt ins
Leben gerufen wurde. Ihnen gegenüber stehen die Gründungsstädte, die durch einen
Akt, eine Urkunde, errichtet wurden. Auch hier gibt es wiederum zwei Arten, je
nachdem einer Landgemeinde (Bauernschaft) Stadtrecht verliehen wird, oder daß
ein Areal zu dem Zweck einer Stadtgründung bestimmt und hier die Stadt „auf wilder
Wurzel" gegründet wird. Bei weitem die meisten mittelalterlichen Städte sind Grün-
dungsstádte. Sie erhalten eine fertige Verfassung nach dem Vorbilde solcher, die
sich in den Rómerstádten bis dahin entwickelt hatten. Da, wo eine Landgemeinde zur
Stadt erhoben wurde (Würzburg), ist außerdem an die vorhandenen Formen und
Einrichtungen der Landgemeinde angeknüpft worden. Und auch wo dieser örtliche
Zusammenhang nicht besteht, haben die in der Dorfverfassung erprobten Einrich-
tungen ihre Einwirkung auf die neuen Formen der Stadtverfassung nicht verfehlt. 3)
Die alten Römerstädte hatten ihre städtische Qualität in der Völkerwanderung ein-
gebüßt. Die Germanen kannten die Stadt im Rechtssinne nicht, und auch die frän-
kischen Einrichtungen ließen kein besonderes Munizipalrecht für diese Orte bestehen.
Ihre rechtliche Sonderstellung hörte auf, sie sind in den Landbezirk der Grafschaft wie
jede Landgemeinde eingegliedert. Aber sie haben zum Teil noch Mauern, die sich bald
wieder mit einer zahlreichen Einwohnerschaft füllen ; sie werden bischöfliche Residen-
zen, sie behalten die Bezeichnung civitas) weiter, so da sie sich schon wirtschaftlich
und sozial von den Dörfern abheben, ohne rechtlich Städte zu sein. Sie haben stádte-
artigen Charakter, insofern sie Niederlassungsstátte einer viel größeren Menschenmenge
werden?) als die Dörfer, und insofern als das Zusammenleben dieser Menschen Formen
1) Wir haben uns hier nur mit der rechtlichen Stellung der Stadt und ihrer Verfassungs-
entwicklung zu befassen. Das Aufkommen der Stadt und die Entfaltung ihres eigenartigen Wesens
bietet jedoch auch ein wirtschaftsgeschichtliches und soziales Problem ; man wolle daher auch die ein-
schlügigen Partien in dem Teiledes Grundriß von KöTzscHKE heranziehen. Die Rechtsgestaltung in der
Stadt ist vielfach durch deren wirtschaftliche Entwicklung beeinflußt, deshalb kann der Verfassungs-
historiker die wirtschaftlichen Faktoren zur Erklärung verfassungsrechtlicher Institutionen nicht
entbehren. — Die Frage nach dem Ursprung der deutschen Stadtverfassung hat insbesondere eine
Reihe rechtsgeschichtlicher Untersuchungen zutage gefördert, bei denen vielfach ein einseitiges Mo-
ment zu stark betont wurde. An Theorien von dem Einfluß der Ottonischen Privilegien, von der
Tragweite der germanischen Volksfreiheit und von der Weiterwirkung der römischen Munizipalverfas-
sung schlossen sich andere wie die Markgenossenschaftstheorie (Vertreter v. Maurer), die Landgemeinde-
theorie (v. Below), die Hofrechtstheorie (Nitzsch), die Marktrechtstheorie (Sohm, Schulte, Keutgen).
2) Dazu gehéren die Konigspfalzen meist nicht. Die meisten Kónigspfalzen erlangten keine
wirtschaftliche Blüte und sind deshalb auch nicht zu Städten aufgestiegen.
3) Dies ist der richtige Kern der öfters miBverstandenen Landgemeindetheorie v. BELOWS.
4) Die Ausdrücke civitas und urbs haben ihre frühere technische Bedeutung verloren und
bedeuten jetzt nur, den ummauerten Ort. Erstim späteren MA. erhalten sie wieder die Bedeutung
Stadt. RIETSCHEL, Markt und Stadt, S. 150.
5) SANDER aaO. S. 129 drückt es so aus: „Die Stadt ist die lokale Siedelungsform des großen
sozialen Kreises.“
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