Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

   
178 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw. 
Schultheißen mitwirken?), sie erhielt die Aufsicht über Maß und Gewicht, sie mußte 
den Gemeindebesitz verwalten, sie übte die Lebensmittelkontrolle, es entstand das 
Bedürfnis nach einem Urteilerkollegium, kurz zu diesen und ähnlichen Aufgaben be- 
nötigte sie eine gewisse Organisation der Gemeinde. 
Zunächst mußte der Begriff der Bürgerschaft selbst sich festigen, die Bürger muß- 
ten von Nicht-Bürgern sich scheiden. Der städtische Bürgerverband des MA. war 
ein persönlicher, kein territorialer Verband. Das geht schon daraus hervor, daß in der 
Stadt Bürger und Nicht-Bürger wohnten, und daß es im Laufe der Zeit Bürger gab, 
die gar nicht innerhalb der Stadt, sondern außerhalb auf dem Lande wohnten. Bürger 
war, wer Grundbesitz, oft nur ein Haus in der Stadt hatte, während der Grund 
und Boden, auf dem das Haus stand, meist dem Stadtherrn gehörte. Nur den 
wirklichen Bürgern kamen alle Rechte zu, die den Genuß der besonderen Vor- 
teile des städtischen Zusammenwohnens verbürgten. Nur ihnen wurden die Pflichten 
auferlegt, die sich aus diesem städtischen Zusammenwohnen ergaben. Hie und da 
mag von Anfang an durch vertragsmäßige Bindung oder gildeartigen Zusammen- 
schluß diese Bürgerschaft begründet sein?), anderwärts mag sie erst durch langsamen 
Prozeß die innere Einigung gefunden haben. Dabei wird die Bildung einer Kirchen- 
gemeinde um den Markt, die bei ihren Mitgliedern keinen Unterschied zwischen 
Nichtbürgern und Bürgern machte, mitgeholfen haben. Es-galt jedenfalls, die ver- 
schiedenartigen privaten Kreise zu einer Einheit zusammenzuschweißen und die 
mannigfaltigen Interessengegensätze zu beseitigen. Es war eine eminent erzieherische 
Leistung zu vollbringen, bis man die gemeinsamen Aufgaben erkannt und sich als eine 
in ihren Zielen gleiche Bürgerschaft fühlte. Gemeinsamer Gegensatz gegen den 
Stadtherrn hat oft die getrennten Elemente zusammengeführt. 
Des weiteren mußte nun nach den sich ergebenden Bedürfnissen des städtischen 
Lebens alles das, was bisher an Verfassungseinrichtungen auf dem platten Lande, im 
feudalen Verbande erprobt war, angepaBt werden. Die städtische Verfassung ist schließ- 
lich eine Summe von Kompromissen, die sich die bisherigen V erfassungseinrichtungen 
gefallen lassen müssen zugunsten der neuen Forderungen, die durch die städtische Ent- 
wicklung gestellt wurden. Wo man konnte, knüpfte man an Vorhandenes an und mo- 
delte um, und hat schließlich auf längerem oder kürzerem Wege die Schwierigkeiten 
organisatorisch überwunden, die in den Gegensätzen von Landgemeinde und Stadt- 
bürgerschaft lagen.3) 
Das wichtigste Organ, das sich die Stadt schafft, ist der Stadtrat. Er ist nicht 
überall gleichmäßig, sondern auf verschiedene Weise entstanden. So hat öfters die 
Marktgemeinde für bestimmte Zwecke coniuratores fori aus ihrer Mitte gewählt, sie 
hat Ausschüsse gebildet, aus denen dann der Rat erwächst. Wo ein Schöffenkollegium 
bestand, konnte an dieses angeknüpft werden, indem die Schöffen zu ihren richter- 
lichen Funktionen durch die Bürger weitere Vollmachten in Gemeindesachen hinzu 
erhielten?) entweder durch einmaligen gesetzgeberischen Beschluß der Gemeinde oder 
1) In den westfälischen Bischofsstädten scheint die Stadtgemeinde von Anfang an den Richter 
gewählt zu haben, nach Analogie, wie die Bauerrichter von der Bauerschaft gewählt wurden. Pur- 
LIPPI aaû. S. 64. 
2) So nimmt es H. Joacrim, Gilde und Stadtgemeinde in Freiburg i. B. (Festschrift f. Anton 
Hagedorn S. 25—115. 1906) an, wie er S.31 auch die Stadtgemeinden in Magdeburg, Naum- 
burg, Halberstadt, Quedlinburg, Bremen, Gandersheim, Goslar u. a. von Anfang an als Gilden or- 
ganisiert sein läBt. ; 
3) Das Beispiel der früher entwickelten und noch an das römische Vorbild anknüpfenden 
Städte Italiens und Frankreichs ist für die deutschen Städte nicht ganz unerheblich. Inwieweit die 
organisatorische Arbeit einzelner Individuen an der Schaffung der Stadtverfassungen beteiligt ist, 
das müßte noch in Einzeluntersuchungen mehr klargestellt werden. 
4) v. BELow, Stadtgemeinde, S. 861. Die Theorie HzEusLERS, daß der Stadtrat überall aus 
dem Sehóffenkolleg sich entwickelt habe, ist durch v. Bxrow widerlegt. 
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
     
  
    
  
  
  
  
	        
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