92 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
Überhaupt wird nirgends von den Germanen berichtet, daß sie eine zahlenmäßige
Gliederung des Heeres gekannt hätten. Auch die Einteilung des germanischen Heeres
in Hundertschaften hängt daher in der Luft und beruht lediglich auf Hypothese. Der
Militärschriftsteller MAURIKIOS*) sagt sogar ausdrücklich, daß sie keine abgezählten Ab-
teilungen gehabt hätten, sondern nur Gruppierungen nach Geschlechtern und Ver-
wandtschaften.
Als Oberbefehlshaber über die Truppen einer Völkerschaft wurde auf einer
Volksversammlung für jeden Kriegsfall von neuem aus der Zahl der prineipes einer
ausgewühlt oder durch das Los bestimmt; er hie Herzog (ahd. herizoho, asächs.
heritogo), dux. Mit dem Ende des Krieges endigte auch seine Stellung wieder und
er trat in die Reihe der principes zurück. In Konigsstaaten hatte der Konig den
Oberbefehl.
Die allgemeine Heerpflieht schlof nieht, wie die des 19. Jhs. bis 1918, für den
Staat die Verpfliehtung in sich, den Krieger auszurüsten und zu verpflegen. Zur all-
gemeinen Heerpflicht kam daher für den einzelnen noch hinzu die Pflicht der Selbst-
ausrüstung und der Selbstverpflegung. Die dadurch unvermeidliche Ungleichheit der
Bewaffnung, der eine Ungleichheit der Leistungsfähigkeit entsprochen hätte, wurde
jedoch wahrscheinlich durch Sitte und Gewohnheit ausgeglichen.?) Bestimmte Waf-
fenstücke wird man als unbedingt notwendig zur vollsten Ausrüstung angesehen ha-
ben. Die Selbstverptlegung erstreckte sich nur bis zur Landesgrenze ; im Feindesland
war Raub und Plünderung das Recht des Kriegers.?)
Für die germanische Urzeit sind sowohl Fuftruppen wie Reiterei bezeugt.
Die eine Völkerschaft legte größeren Wert auf das FuBvolk, die andere mehr auf be-
rittene Krieger. Bei den Chatten werden die FuBtruppen gerühmt. Die Bataver wer-
den.als die besten Reiter im rómischen Heere gepriesen, und náchst ihnen wird die
Reiterei der Tenkterer hervorgehoben. Caesar verstürkte sein Heer gegen Vercinge-
torix durch germanische Reiter. Ariovist hatte sein FuBvolk mit Reitern untermiseht.
Auch in der Schlacht von Pharsalus trugen germanische Reiter zum Siege Caesars bei.
Zu Pferde müssen wir uns auch den Oberanführer, Kónig oder dux, denken und die
prineipes nebst den Gefolgsleuten. Ferner wird uns berichtet, daB vor der eigentlichen
Schlachtordnung eine auserlesene Vorhut kümpfte, die ihrem Truppencharakter nach
sich in der Weise zusammensetzte, daf je einem Reiter ein geübter Fußgänger beige-
geben war.*) Zu dieser Elitetruppe wurden die einzelnen ausgewählt; deshalb war hier
die Zusammensetzung nach Familien ausgeschlossen, hier war eine zahlenmäßige Ab-
grenzung am Platze. Ursprünglich stellte jeder Gau 100 auserlesene Männer zu dieser
Vortruppe. Aber schon zu Tacitus’ Zeit spielte auch hier die Zahl 100 keine Rolle mehr;
man nannte sie nur noch die Hundert, centeni, und es galt als besondere Ehre, zu
ihnen zu gehören.)
Während der Völkerwanderung und auch nachher wird uns bei den Goten,
Vandalen und auch bei den Alamannen Reiterei erwähnt. Es war dies wohl eine
Folge des Wanderlebens. Gerade die Alamannen werden bei ihrem ersten Auftreten,
1) Zvoarnrixéy hrsg. v. J. ScurrrErus XI, 4: Tdecoyror óà iv Take Udxous, ... 00 uéroo
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2) Wir hóren von einheitlichen Waffen wie sax und francisca.
3) Jeder Feldzug war gleichzeitig Beutezug, da der Erfolg eines Krieges geradezu gemessen
wurde an der gemachten Beute. Die Führer erhielten einen gróDeren Anteil daran.
4) MÜürLENHOrr, Deutsche Altertumskunde IV, S. 174. BETHGE, Die altgermanische Hun-
dertschaft, in Festgabe an K. Weinhold, 1896.
5) Tacitus, Germania c. 6: ex omni iuventute delectos ante aciem locant. Definitur et nume-
rus: centeni ex singulis pagis sunt, idque ipsi inter suos vocantur; et quod primo numerus fuit, iam
nomen et honor est.