Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

   
Die Gerichtsverfassung 25 
es ein Vorzug der jungen Adeligen, in die Gefolgschaft aufgenommen zu werden. 
Die Gefolgschaft ist ihnen eine Kriegsschule und gleichzeitig eine Erziehung zum Hof- 
dienst und späteren Staatsdienst gewesen. Es konnte vorkommen, daß der Fürsten- 
sohn aus der Gefolgschaft schied, indem ihn ein Bezirk zum princeps an Stelle eines 
verstorbenen Verwandten wählte. 
Nicht zu verwechseln mit der geschilderten Gefolgschaft ist die Kriegstruppe, die sich einem 
Führer anschließt zu einer Heerfahrt.*) Es kam vor, daß das kriegerische Bedürfnis der jungen wehr- 
haften Männer so stark wurde, daß es zu einem Kriegszuge drängte. Dann erbot sich wohl in der 
Volksversammlung ein Fürst zu einer Heerfahrt, etwa zu einem Streifzug durch Feindesland, und die 
kriegerische Jugend schloß sich ihm unter Billigung der Versammlung an. Dieses Verhältnis von 
Führern und Kriegern ist nur ein vorübergehendes, für die Dauer eines Kriegszuges gewesen, es 
war keine Hausgenossenschaft damit verbunden und somit keine eigentliche Gefolgschaft. 
9. Die Gerichtsverfassung. 
Kurt BurcHARD, Die Hegung der deutschen Gerichte im MA., 1893. v. RIcHTHOFEN, Unter- 
suchungen zur friesischen Rechtsgeschichte II, S. 457. Pu. Hck, Altfriesische Gerichtsverfassung, 
1894. J. W. PLANCK, Das deutsche Gerichtsverfahren im MA. 2 Bde. 1878. 1879. RosENTHAL, 
Gesch. des Gerichtswesens und der Verwaltungsorganisation Bayerns I, 1889. Warrz, Vfg. I3, S. 418 
bis 453. ScHRÔDER, Re. °, $ 8, S. 44—49. BRUNNER, Rg. I?, $ 20, S.195—210. F. Purvrerr, Landrechte 
des Münsterlandes, 1907. 
Daß in gewissen Fällen die Gesamtheit der Volksgenossen zu Gericht saß, also 
die Volksversammlung Gerichtsversammlung sein konnte, ist schon oben (S. 20) er- 
wähnt. 
Die ordentliche und eigentliche Gerichtsgemeinde war jedoch die Siedelungs- 
gemeinde, die ordentliche Gerichtsversammlung war die Bezirksversammlung der 
Sippenniederlassung. Die Gerichtsgemeinde bestand daher nur aus freien Volks- 
genossen; abhängige Leute wurden durch ihren Herrn vertreten, der für sie Recht 
forderte, aber auch für sie verantwortlich war. Man unterscheidet ein echtes und ge- 
botenes Ding. Das echte Ding trat an feststehenden Terminen zusammen, ohne daß 
dazu besonders aufgefordert wurde.?) Wurden nicht alle vorliegenden Sachen auf 
dem echten Ding erledigt, so wurde noch ein Nachding oder Afterding gehalten, 
das sich entweder direkt an das echte Ding anschloß oder kurz nachher stattfand. 
Das gebotene Ding verpflichtete nur denjenigen zum Erscheinen, der durch den 
Richter eigens dazu entboten wurde. Es ist aber zweifelhaft, ob sich diese Drei- 
teilung bei allen Germanen fand. 
Jeder Siedelungsbezirk hatte eine besondere herkömmliche Dingstätte, unter 
freiem Himmel, meist etwas erhöht auf einem Hügel, weithin sichtbar, durch einen 
oder mehrere Báume erkenn'lieh. Als sieh im Laufe der Zeit der Siedelungsbezirk 
erweiterte, neue Höfe und Bauernschaften auf Rodeland allmählich hinzuwuchsen, 
blieben sie oft noch lange bei der alten Gerichtsstätte. Der dazu gehörige Gerichts- 
bezirk veränderte sich also, weil er nicht von Anfang an mit festen räumlichen Grenzen 
abgesteckt war, sondern die neuen Siedelungen mit aufnehmen konnte.”) Diese Ding- 
stätten (Mal, Malberg) waren den Göttern geweiht. Sie wurden bei Beginn der Ge- 
richtsversammlung noch eigens durch Verkündigung des Dingfriedens unter den Frie- 
den des Gottes gestellt. Einfriedigung des Gerichtsplatzes mit Pflock und Schnur, 
1) KEUTGEN (aaO. S. 29) hält beide für identisch, stützt sich aber nur auf Caesar, Bellum Gall. 
VI c.23. Vgl. dagegen BRUNNER, Rg.I?, S. 186. 
2) Wahrscheinlich an alten heidnischen Opfertagen. 
3) Erst später sind durch Teilung kleinere Gerichtsbezirke mit eigenen Dingstätten ent- 
standen, vgl. L. BAUMANN, Die Gaugrafschaften im württembergischen Schwaben, S. 4f.; F. Pnr- 
LIPPI, Landrechte des Münsterlandes, 1907, S. VIII. PmirrePrs Deutung der Gerichtsstütten als 
Ausgangspunkt für die Gerichtsbezirke ist leicht mit der oben von uns gegebenen zu vereinigen. 
Es scheint mir natürlicher, da erst die Siedelungsgemeinde sich eine Malstátte wählte und diese all- 
mählich ihren zuständigen Bezirk erweiterte, als daB die Dingstütte zuerst bestanden, etwa als 
Heiligtum, und sich an ihr eine Gerichtsgemeinde zusammengeschlossen hátte. 
      
   
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
 
	        
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