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Von der Völkerwanderung bis Ende der Karolinger 27
Zunächst waren VerteidigungsmaBregeln nötig. Haben sich in der ersten Zeit
die Sugambrer und Chatten vor Caesar, die Chatten vor Germanikus in die Wälder
flüchten müssen, waren noch die schwachbesiedelten viei der Marser wehrlos i. J. 14
n. Chr. dem über sie herfallenden Germanikus preisgegeben, so lernte man doch den
Wert von Fluchtburgen kennen. Wenn auch nicht alle Wallburgen heute mehr so weit
zurückdatiert werden dürfen, wie das SCHUCHHARDT!) nachgewiesen hat, so haben sich
doch einige der noch erhaltenen als alte Zufluchtsburgen erwiesen, wie die Groten-
burg bei Detmold, die Milseburg bei Fulda, die Sieburg bei Karlshafen, die Sachsen-
burg Haskenau bei Münster i. W. Vielleicht haben für diese Ringwälle schon die Kelten
das Vorbild geliefert, aber auch andere Burgen, befestigte Herrensitze, sind schon in
diesen Kriegszeiten entstanden; Segestes wird in einer solchen belagert.
Und wenn Mattium das caput des Volkes der Chatten genannt wird, so zeigt
das, daß die Germanen nicht mehr bloß bedeutungslose viei hatten, sondern auch
schon einige, vielleicht befestigte, Hauptorte, wie sie solche jenseits des Limes sahen. Das
Rómertum schob ja seine Organisationen bis an die Grénze vor und überzog auch da-
mit die im Rómerreich einbegriffenen germanischen Vólker. An Gtelle des germani-
schen princeps pagi begegnet uns in der augusteischen Zeit der praefectus pagi, seit
den Flaviern sind die vici unter die Leitung von curatores gestellt. Haben die Flavier
die linksrheinischen germanischen civitates, wohl im Zusammenhang mit den dort
eingerichteten beiden germanischen Provinzen, organisiert, so hat dann Trajan diese
Organisation über den Rhein verpflanzt und das Dekumatenland in civitates eingeteilt.
So werden dort die civitas Mattiacorum gebildet mit Wiesbaden als Vorort, die civitas
Taunensium mit dem Vorort Heddernheim, die civitas Alisensis mit dem Vorort
Wimpfen, die civitas Sueborum Nicretium mit Ladenburg (Lopodunum), die civitas
Sumelocennensis mit Rottenburg, die civitas Aurelia Aquensis mit Baden- Baden
u. &. m. Àn diesen Vororten wurden fora mit Gerichtshallen und Tempeln errichtet,
Mauern zum Schutz erbaut und so die Grundlage zu städtischer Entwicklung gelegt.
Naturgemáf beschnitten die Rómer, soweit ihre EinfluBsphüre reichte, den Ger-
manen ihre altangestammten Rechte. Den Tenkterern wurde das Zusammentreten
der Volksversammlung nur ohne Waffen gestattet und unter rómischer Aufsicht.
Ebenso wurden die Markomannen und Quaden nach den Kriegen des Kaisers Markus
nach Zeit und Ort in der Abhaltung ihrer Versammlungen beschränkt und diese selbst
ebenfalls unter Aufsicht eines römischen Centurionen gestellt. Und alle diese Völker
gehörten nicht zum römischen Reich, ihre Gebiete waren nicht einer römischen Pro-
vinz einverleibt; wieviel mehr müssen die germanischen Völker im römischen Reichs-
verband eingeschränkt worden sein. Immermehr werden diese germanischen civitates
den gallischen gleich geworden sein.
Sehen wir von diesen romanisierten Germanenvölkern ab, so zogen durch die
Limestore doch nicht nur römische Kulturerzeugnisse zur Befriedigung der täglichen
Bedürfnisse des Lebens, sondern auch die Bekanntschaft mit den römischen Ein-
richtungen und die Erkenntnis ihrer Überlegenheit. Die urzuständlichen Verhältnisse
auch dieser Germanen, zunächst der Grenzvölker, erfahren so den umgestaltenden
Einfluß des römischen Beispiels. Schon das zu Augustus’ Zeit entstandene Marko-
mannenreich zeigt vielfach römisches Gepräge. Marbod hat aus einem erfolgreichen
Heerführertum eine Art römischen Königtums entwickelt, in dem der absolutistisch-
zentralisierende Zug auffallend gegen den germanischen Gedanken der Volkssouve-
ränität absticht. Er stützt sich auf ein stehendes nach Römerart geschultes Heer, und
1) SCHUCHHARDT, Atlas vorgeschichtlicher Befestigungen in Niedersachsen. H. 7. Abschn.VIII.
Volksburg und Herrensitz. S. 57ff. Vgl. auch Atlasfrüh geschichtlicher Befestigungen in Westfalen 1920,