Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
30
Kaiser Valentinian, durch den der Vandalenstaat die Unabhängigkeit erwarb und von der Tribut-
zahlung befreit wurde. Nach Geiserichs Tode geriet der Vandalenstaat wieder in Verfall, und nach
kaum hundertjährigem Bestande fand er 534 durch Belisar seinen Untergang.
Die ursprüngliche Niederlassung der Vandalen in Afrika war geschlossen geschehen in der bei
Karthago gelegenen prokonsularischen Provinz, provincia Zeugitana, in der die Römer ausgerottet
oder zu Hörigen gemacht wurden. N
Das Staatswesen, das die Vandalen in Afrika entwickelten, behielt daher mehr
einen germanischen Charakter bei, besonders hinsichtlich der Gesetzgebung, bei der
noch die Vandalen zugezogen wurden, wenn es sich um Gesetze für Vandalen handelte.
Trotzdem hat das Königtum unter Geiserich eine straffe Befehlsgewalt entwickelt.
Der König hat die Banngewalt, nicht mehr das Volk. Verordnungen für die Römer hat
er wohl selbstándig erlassen. Er regiert durch rómische und vandalische Beamte.
Römische Amtstitel ließ Geiserich bestehen, ebenso die römischen Verwaltungsein-
richtungen wie beispielsweise das Postwesen. Ein wesentliches Recht des vandali-
schen Volkes wußte er zu brechen, nämlich seine Mitwirkung bei der Thronfolge: es
gelang ihm, durch ein Gesetz Erbfolge nach Erstgeburtsrecht durchzusetzen.
b) Die Westgoten.') Die Westgoten waren zunächst als Fóderaten in den römischen Kriegs-
dienst eingetreten und hatten von Kaiser Theodosius nach Maßgabe des römischen Einquartierungs-
systems Wohnsitze in Illyrien angewiesen erhalten. Eine Verlegung ihrer Sitze nach Italien unter
Alarich war mißglückt; unter Ataulf erhielten sie jedoch abermals als Föderaten nach einem Vertrag
mit Kaiser Constantius 419 Wohnsitze in der Provinz Aquitania secunda in Südgallien/ wo sie in Ab-
hängigkeit vom Kaisertum das tolosanische Reich mit der Hauptstadt Toulouse gründeten. Sie muß-
ten für das römische Reich Kriegsdienste leisten. Ataulf hat als römischer Oberfeldherr einen Auf-
stand in Gallien niedergeworfen, und sein Nachfolger Wallia hat im römischen Dienste einen Feld-
zug über die Pyrenäen unternommen. König Eurich 466 — 484 löste diese Abhängigkeit und er-
weiterte das Westgotenreich über den größten Teil von Spanien, die Auvergne und die Provence.
Schon bei der Niederlassung in Südgallien hatten die Westgoten einen größeren
Landteil erhalten, als dies sonst das Einquartierungssystem vorsah. Sie empfingen
zwei Drittel des Ackerlandes, während den Römern ein Drittel verblieb. Wald und
Weide sollten beiden gemeinsam sein.?) Goten und Römer waren anfangs scharf ge-
schieden. Zunächst trennte sie die Verschiedenheit der Religion, dann aber auch
die Verschiedenheit des Rechts. Die Rómer lebten nach dem im breviarium Alarici II
i. J. 506 zusammengestellten rómischen Recht; für die Goten galt der zwischen 469
und 481 erlassene codex Eurieianus des Kónigs Eurich. Anfangs waren nur die Goten
Krieger, die Rómer dagegen militárfrei. Dagegen waren die Goten anfangs steuerfrei,
wührend die Rómer der Grundsteuer unterworfen waren. Goten und Rómer unter-
standen gesonderten Niedergerichten, und vor allem verhinderte das Eheverbot eine
Verschmelzung.
Eine Beseitigung dieser völkischen Gegensätze bahnte der Übertritt Rekkareds I.
(586—601) zur katholischen Kirche an, da seitdem die Kirche das westgotische Staats-
wesen zu durchdringen begann. Die Entscheidung brachte aber erst König Rekis-
vinth (652—672) dadurch, daß er das Eheverbot aufhob und die Rechtseinheit des
westgotischen Reiches begründete. Er verarbeitete die älteren Gesetze und die Re-
formedikie des Kónigs Leovigild zu dem nunmehr für Goten und Römer gleichmäßig
geltenden Gesetzbuch, der lex Visigothorum.?)
Damit war der westgotische Staat auf eine andere Grundlage gestellt. Das
politische Übergewicht des Gotentums war aufgegeben; es war eine Mischnation an
die Stelle getreten mit gemeinsamer Religion und gemeinsamem Rechte. Das führte
zur Bildung der spanischen Nation.
Eine andere soziale Verschiebung machte sich im Westgotenreiche geltend da-
durch, daß das Vermögen und vor allem der Grundbesitz in der sozialen Schätzung
1) Vgl. F. Dauw, Westgotische Studien 1874,
2) Lex Visigothorum X 1, 8.
3) K. ZgUMER, Gesch. der westgotischen Gesetzgebung. NA. Bd. 25 u. 26.