56 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
Davon zu unterscheiden sind die praefecti auf früher römischem Boden, wie
in der Provence. Hier ist die Präfektur die alte römische Gewalt des praefectus
praetorio über die gallo-römische Bevölkerung, und da diese Römer vom Heere ausge-
schlossen sind, so ist sie eine Zivilgewalt im Gegensatz zu der Militärgewalt z. B. der
comites über die Goten?*) und später der fränkischen comites. Diese Art der Präfektur
hörte auf, als die Trennung zwischen Römern und Franken fortfiel und die Römer dem
Heerbann unterstellt wurden.
Wenn wir von diesen Beamten der Übergangszeit absehen, finden wir in der
fränkischen Zeit folgende Beamten der Provinzialverwaltung.
4, Der dux.
W. SickzL, Das Wesen des Volksherzogtums. HZ. NF. 16, S. 407; derselbe, GGA. vom
1. Juni 1888. S. 441. WrrrMANN, Die Stellung der agilolfingischen Herzóge. Abh. der bayer. Ak.
VIII, I. C. BORNHAK, Das Stammesherzogtum im fränkischen Reiche. In FDG. B. 23. Warrz 3?
S. 356f.
Die Bedeutung des dux hat sich in der fränkischen Periode dreimal geändert.
Zunüchst haben wir den merowingischen Amtsherzog, dann in der Zeit des Verfalls
der merowingischen Zentralgewalt den Stammesherzog und schlieBlich unter Karl
d. Gr. und seinen Nachfolgern den Titularherzog.
a) Die Merowinger haben da, wo die Landesverteidigung es nótig erscheinen
lieD, einen dux aufgestellt, der König setzte ihn ein und ab nach Bedürfnis. Daß
dabei hier und da in früher rómischem Gebiete noeh das alte rómische Provinzialamt
der duces wieder auflebte, ist wahrscheinlich.?) Jedenfalls war von den Merowingern
nicht das ganze Reich in Dukate aufgeteilt worden; in kriegerischen Zeiten gab es
mehr“) als in friedlichen, in gefáhrdeten Gegenden mehr als in ungeführdeten und auf alt-
rómischem Boden wohl auch mehr als auf altgermanischem. Die erste und vornehmste
Aufgabe dieses dux ist demnach die militärische und entsprach insofern derjenigen
des altgermanischen dux. Der König war nicht verpflichtet, einen erledigten Dukat
wieder zu besetzen. Der dux konnte mehrere Grafschaften unter sich haben, aber seine
Stellung zu den unter ihm stehenden Grafen ist nicht ganz klar. Der dux hat nämlich
auch Gerichtsbarkeit in seinem Bezirk, und es scheint eine mit dem Grafengericht kon-
kurrierendeGerichtsbarkeit gewesen zu sein,so daf das Grafengericht schweigen mute,
wenn der dux anwesend war. Aber der Graf wird nicht vom dux eingesetzt und erhált
seinen Bann vom König; er ist also, obwohl dem dux unterstellt, ein „selbständiger
Vertreter der Regierung" . Jedenfalls is der dux im Kriege der Oberbefehlshaber über
die Grafen seines Dukats.
b) Als das merowingische Känigtum Autorität und Macht verlor, gelang es
einigen duces, ihre Stellung über die Beamtenqualitát hinaus zu stárken zu selbstän-
diger Macht. Das geschah besonders da, wo der dux über einen Volksstamm gesetzt
war, der nach Unabhängigkeit strebte. Das war am meisten der Fall bei den deutschen
Stämmen, und deshalb sehen wir auch dort besonders, daß die herzogliche Macht aus
einem Amte zu einem Stammesherzogtum sich auswächst. In der romanischen Reichs-
hälfte ist es nur das Herzogtum Aquitanien, das diese unabhängige Macht erlangt, die
sich nur noch zur Tributpfliehtigkeit bekennt.5 In den germanischen Teilen ist es
1) F. KIENER, Verfassungsgeschichte der Provence. S. 50.
2) F. DAHN erklärt so die ost- und westgotischen, die langobardischen und fränkischen duces
in Gallien als Fortführung des rómischen Provinzialamtes. Vgl. F. DAun, Könige der Germanen.
VII, 2, S. 155; derselbe, Deutsche Geschichte, I, 2, S. 609. 611, 642.
3) Zehn duces kann Kónig Dagobert gegen die Waskonier aufbieten, zwanzig sogar Childe-
bert II. gegen die Langobarden. BRUNNER, Bg. II, 155.
4) PERROUD, Les origines du duché d'Aquitaine. 1882.