Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

     
74 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw. 
Für jeden Krieg bestimmte der König die Größe des Aufgebots. Maßgebend da- 
für war die Lage des Kriegsschauplatzes, indem die entfernter gelegenen Landesteile 
weniger als die näheren herangezogen wurden. Ferner wurde die Aushebung bemessen 
nach der wirtschaftlichen Kraft oder umgekehrt nach Notlage der Untertanen, wobei 
auf die eigene Gefahr beunruhigter und gefährdeter Gebiete, auf Mißwachs und Ver- 
wüstung Rücksicht genommen wurde; und endlich die voraussichtliche Macht; des 
Gegners, die eine größere oder geringere Aushebung erforderte. 
Kriegsdienstfähig waren ursprünglich nur die freien Germanen, seit den Söhnen 
Chlodwegs auch die Römer, Da aber der unentgeltliche Kriegsdienst große Anforde- 
rungen an den Einzelnen stellte, weil er für Ausrüstung und den Unterhalt bis zur 
Reichsgrenze selbst aufkommen mußte, so ergab sich von selbst, daß ein gewisses 
Vermögensmaß sich als Grundlage der Heerespflicht geltend machte. Anfangs mag 
unter Kontrolle der königlichen Beamten die Auswahl der Dienstpflichtigen vorge- 
nommen worden sein. Die Beamten, Graf, missus, beurteilten bei jedem Kriegsfall, 
ob der Einzelne für diesen Krieg wirtschaftlich und körperlich leistungsfähig war. Um 
der eventuellen Willkür der Beamten vorzubauen und eine bessere Norm wegen der 
öfteren und größeren Mobilmachungen für seine vielen Kriege zu erhalten, hat dann 
Karl d. Gr. einen Maßstab für die Aushebung festgesetzt durch Bestimmung des Ver- 
mögens, das als Grundlage für die Dienstpflicht angenommen werden sollte. Diese 
Vermögenseinheit sollte aber nicht für alle Kriege dieselbe sein, sondern sie sollte dem 
Bedürfnis angepaßt werden. Einmal (807) war es der Besitz von drei Hufen Landes, 
oder entsprechend in beweglichem Vermögen 600 solidi, der zu persönlichem Kriegs- 
dienst verpflichtete. Diej enigen, die weniger besaßen, sollten in einer Anzahl zusammen- 
treten, bis sie dasselbe Vermögen repräsentierten, und sollten alsdann einen aus ihrer 
Mitte zum Kriegsdienst stellen und ausrüsten. Ein andermal wurde der Besitz eines 
Streitrosses als maßgebend für den persönlichen Kriegsdienst bezeichnet. Diejenigen, 
die kein Kriegspferd hatten, sollten zu sechs zusammentreten und einen Reiter aus- 
rüsten. Öfters wurde von den Minderbemittelten nur eine Beisteuer verlangt, deren 
Höhe der Graf festsetzen konnte. Es war also keine ein für allemal und für alle Fälle 
geltende Aushebungsordnung geschaffen, sondern eine variable Mobilmachungsein- 
richtung, deren einheitlicher Grundsatz der war, daß die Vermógenderen zu persón- 
lichem Kriegsdienst, die Unvermógenden zu genossenschaftlichem Kriegsdienst oder 
später immer mehr zu einer Beisteuer, einem adjutorium, herangezogen wurden. 
Unbemittelte Freie konnten kriegsdienstfähig gemacht werden dadurch, daß der 
König oder ein Großer ihnen Grundbesitz in freien Leiheformen übertrug. Insbeson- 
dere die Übertragung großer Benefizien an solche, die ein Vassallenverhältnis eingingen, 
geschah vielfach mit der Absicht, diese Vassallen zum Reiterdienst kriegsfähig zu ma- 
chen. DerVassall wurde auf diese Weise Privatsoldat seines Herrn, des Seniors.)  Gleich- 
zeitig wird er aber auch in den Kapitularien Karls d. Gr. und in den Aufgeboten, die 
den persönlichen Kriegsdienst vom Besitz eines Pferdes abhängig machen, zu den- 
jenigen gezählt, die dem Reich zu persönlichem Heeresdienst verpflichtet waren. Es 
konnte also vorkommen, daß die Reichswehrpflicht mit der vassallischen Dienstpflicht 
in Widerspruch geriet.?) 
Das Aufgebot ging vom König aus, es wurde auf einer Reichsversammlung ver- 
kündet oder durch missi im Reiche bekanntgegeben, Es richtete sich an die königlichen 
Beamten, vornehmlich Herzöge und Grafen, aber auch schon an einzelne Große direkt. 
1) Schon der buccellarius in römischen Quellen war ein Privatsoldat seines Herrn. Auch die 
pueri des 6. Jahrhunderts, deutsch degen, sind als solche anzusprechen. DELBRÜCK, Gesch. d. 
Kriegskunst, Bd. 2, S. 408. GUILHIERMOZ, Origine de la noblesse en France en moyen-áge,1902, S. 21. 
2) S. u. unter b. 
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
  
  
   
   
   
     
	        
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