76 Aloys Meister: Deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters usw.
ist.") Insofern ist es mit dem alten Gefolgswesen verwandt. Diese clientes begegnen
uns in Urkunden des 6. und 7. Jhs. als iuniores, gasindi, suscepti, amiei und im 8. Jh.
als vassi und vassalli. Vassallitát ist ein gegenseitig verpfliehtendes Verhülinis: der
Sehutzherr war seinem Sehutzbefohlenen gegenüber verpflichtet, ihn zu schützen,
ein ihm widerfahrenes Unrecht zu verfolgen und seine Tötung zu rächen ; anderseits
mußte er für das durch seinen vassus begangene Unrecht aufkommen oder ihn dem
Gerichte ausliefern. Der schutzbefohlene vassus hatte seinem Herrn kriegerische
Dienste zu leisten. Das Vassallitätsverhältnis wurde eingegangen durch Kommen-
dation, und zwar seit dem 8. Jh. nur auf Lebenszeit.
In den unruhigen Zeiten des Niederganges des Merowingerreiches, in den vielen
inneren Fehden mußten die Großen ganz besonders dieses Institut der Vassallitái bo-
vorzugen, da es ihnen »in kriegerisches Gefolge zu ihrem Schutze lieferte. So werden
die großen Grundherren Senioren einer kriegerischen Schutztruppe von Vassallen. Das
Vorbild der germanischen Gefolgschaft fließt hier zusammen mit der gallischen Her-
kunft der Klientel.?) :
Die Reform Karl Martells stellte das private Vassallitätsverhältnis mehr in die
öffentlichen Aufgaben ein, denen ja auch schon die altgermanische Gefolgschaft die-
nen konnte. Die Vassallen waren bisher von ihren Herren zu privaten Zwecken
verwandt worden; die Benefizien Karl Martells verpflichteten dagegen zur Reichs-
heerfahrt. Dadurch wird der privatrechtliche Charakter der Vassallität durch einen
staatsrechtlichen abgelôst. Künftig heißen nur noch diejenigen Vassallen, die diese
staatlichen Verpflichtungen, Heerfahrt und dazu auch die Hoffahrt, zu übernehmen
haben.
Das sind aber auch die Pflichten der Trustis, und auch die Kommendation zur
Vassallität hat ebendieselben symbolischen Formen, Treveid des Mannes und Waffen-
reichung des Herrn, angenommen wie die Trustis. So kommt es, dab die Trustis
von der Vassallität aufgesogen wird und verschwindet, während der entwickelungs-
fähigeren Vassallität in der Ehe mit dem Benefizialwesen eine grôBere Zukunft be-
schieden ist.
Das Benefizialwesen selbst ist aus einem ursprünglich wirtschaftlichen Leihe-
verhältnis entstanden. Diese wirtschaftliche Leihe wird aber zu politischen und mili-
tärischen Zwecken herangezogen und erhält auf diese Weise selbst militärische und
politische Bedeutung. Das ist dann das eigentliche Lehen?), das der Vassall erhält.
Naturalwirtschaftliche Zustände sind demnach die Grundlage der Entstehung des
Lehnswesens. Hätte man die Krieger, die Vassallen, mit Geld entlohnen können, so
hätte ein Lehnswesen nicht aufkommen können.
1) Bell. Gall. 6 c. 15: ut quisque est genere copiisque amplissimus, ita plurimos cireum se am-
baetos clientesque habet. Auch in den buccellarii (S. 74 Anm.1) hat man ein Vorstadium erblickt; BRUN-
NER, Rg.2, S. 202, Anm. 27, erkennt aber in den buccellarii die Einwirkung der Gefolgschaftsidee.
Es ist bemerkenswert, daB der Gallier Rufinus und der Germane Stilicho die ersten römischen Staats-
männer waren, die buccellarii in Dienst nahmen.
2) Früher herrschte lebhafte Diskussion über den Ursprung der Vassallität und des Benefizial-
wesens insbesondere zwischen PaurL RoTrH und Ge. Warrz. P. Roru, Gesch. des Benefizialwesens.
1850; Derselbe, Feudalität und Untertanenverband 1863; Derselbe, Säkularisation des Kirchengutes
unter den Karolingern, Münchener HJb. Bd. 1. Gc. Warrz, Über den Ursprung der Vassallität.
1856 (in den Abh. der Gótt. Ges. d. W. 7 und in den von ZEUMER herausg. Abhandlungen zur Verfg.
Bd. 1); Derselbe, Die Anfänge des Lehnswesens (in HZ. Bd. 13 und in den genannten Abh. Bd. I).
Vgl auch H. BRuNNER, Der Reiterdienst und die Anfünge des Lehnswesens (in ZSavRg. 8);
V. EHRENBERG, Commendation u. Huldigung nach frünk. Recht. 1877. Rot hatte die Vassallitàt
aus der Trustis hergeleitet, wührend Warrz für ihren selbstándigen Ursprung eingetreten war.
3) ,,Aus der wirtschaftlichen Leihe war so durch die Einwirkung der politischen und sozialen
Entwicklung eine militürisch-politische Leihe, das Lehen, hervorgewachsen.“ Dorscx, Wirtschafts-
gesch. d. Karolinger, Bd. 1, S. 210. KEUTGEN, Staat des MA, $. 46.