Die Kaiseridee
em Wido, Lambert, Ludwig III. der Blinde, Berengar und Hugo Kaiser wurden, nur
als eine besondere Dekoration des Kónigtums in Italien aufzufassen.
Erst Otto I. knüpfte wieder an die verloren gegangenen Füden universaler Kaiser-
politik an, seine süditalienisehe und byzantinische Politik làuft in dieser Bahn. Im
übrigen fate er das Kaisertum nüchterner auf. Otto stützte sich auf seine deutsche
Macht und bezog unter realer Beschrüánkung auf das Erreichbare nur noch Burgund,
Ober- und Mittelitalien in das Kaisertum ein.!) Er betonte dann vor allem die kirch-
liche Pflicht des Kaisertums. Sie setzte ihn in die Lage, durch Ausnutzung der kaiser-
lichen Aufgabe, die dem Inhaber der Kaiserkrone den Schutz der Kirche zur Pflicht
machte, eine Autoritát über die einzelnen Püpste geltend zu machen, die im Reiche
eine Stärkung der Herrschergewalt über die Kirche bedeutete; er ordnete die Kirche
politisch dem Kaisertum unter. Die so umsehriebene Machtstellung war das „heilige
römische Reich deutscher Nation‘. Dieser volle "Litel ist freilich erst allmählich ent-
standen; der Zusatz deutscher Nation findet sich erst unter Friedrich III. und die
Formel erst im Kolner Reichsabschied 1512.2)
Otto hatte ein Recht auf das Kaisertum ; denn durch seine glücklichen Kämpfe
gegen die Slawen und Böhmen, besonders durch seinen Sieg über die Ungarn war
er bereits Vorkämpfer der Christenheit; durch sein Eingreifen in Frankreich, Burgund
und Italien hatte er das Übergewicht ausschlaggebender Autoritàt im Westen erwor-
ben. Damit war sein Kaiserberuf gegeben und innerlich begründet. Der dringende
Hilferuf des Papstes kam nur als äußerer Anlaß, wie einst bei Karl d. Gr. hinzu; ihm
durfte sich der König nicht entziehen, wollte er seinen bisherigen Erfolg nicht wieder
untergraben.?)
Die Erneuerung des Kaisertums war für den Herrscher des deutschen Volkes
eine politische Notwendigkeit.) Es wurde dadurch der Gefahr begegnet, daB das
Kaisertum an das Westreich oder dauernd an Italien kam, was bei der Erstarkung
dieser Nationen ihre Einmischung in die deutschen Verhültnisse zur Folge gehabt und
ihnen ein Übergewicht über Deutschland verliehen hätte. Es wurde ferner erst durch
die so geschaffenen Beziehungen zum Papsttum die Möglichkeit einer auf die Kirche
sich stützenden monarchischen Zentralgewalt, wie sie Otto nötig hatte, auf lange Zeit
1) In Süditalien behauptet er Capua und Benevent und bereitet so wenigstens die Ausdehnung
des Kaisertums auch über die südliche Halbinsel vor.
2) K. ZEUMER, Heiliges rómisches Reich deutscher Nation. Eine Studie über den Reichs-
titel (Quellen u. Studien z. Verfassungsgesch. des deutschen Reichs, Bd. 4. 1910).
3) HzusLER, Vfg., S. 125: ,,In solchen Momenten gilt kein Zaudern, kein Überlegen, denn
es gibt keine Wahl; ein Zurückweichen vor diesem letzten Schritte wàre eine das mühsam Errungene
wieder in Frage stellende und dem hochgemuten Sinne Ottos fremde Schwüche gewesen. Der Konig
selbst faßte es als göttlichen Befehl auf, ganz in dem Sinne eines religiösen Werkes zur Verwirk-
lichung des Ideals . . . jenes so erhaben gedachten und doch so unmöglichen Gottesreiches auf Erden
durch das Zusammenwirken der zwei Schwerter, der weltlichen und der geistlichen Gewalt.“
4) Früher bestand eine lebhafte Kontroverse, ob Ottos I. italienische Politik für unsere
deutsche Entwicklung von Vorteil oder Nachteil war. Besonders der mehr unter politischem Ge-
sichtswinkel urteilende Historiker H. v. SYBEL hat die italienischen Beziehungen unserer mittel-
alterlichen Kaiser hart verurteilt. Vgl. v. SyBEL, Die deutsche Nation und das Kaiserreich. 1861.
Wo politische Tendenzen dem Geschichtschreiber die Hand führen, da sind die Perspektiven leicht
verschoben; die ganze Fragestellung war schief, sie war nicht objektiv gestellt, sondern subjektiv
nach den damaligen Tagesinteressen gerichtet. Für die mittelalterliche Kaiserpolitik erwärmte sich
damals am lebhaftesten JUL. v. FICKER, Das deutsche Kaiserreich in seinen universalen und natio-
nalen Beziehungen, 1861; Derselbe, Deutsches Königtum und Kaisertum. 1862. Die Literatur
über diese Streitfrage bei VARRENTRAPP, Histor. Bibliothek 3, S. 99£. u. 106f. Vgl. auch MAUREN-
BRECHER, Die Kaiserpolitik Ottos I. HZ. 5. O. v. WYDENBRUCK, Die deutsche Nation und das
Kaiserreich. 1862. C. HOFLER, Kaisertum und Papsttum. 1862. Die wissenschaftliche Frage kann
nur die sein: War es fiir Otto eine Notwendigkeit, nach Italien zu zichen und infolge davon die
Kaiserkrone zu erwerben? Diese Frage muß bejaht werden. Den Nachteilen, die im späteren Ge-
folge eintraten, standen übrigens große Vorteile gegenüber. So auch DrETR. SCHÄFER, Deutsche
Geschichte, Bad. 1, S. 162f.