Full text: Deutsche Verfassungsgeschichte von den Anfängen bis ins 15. Jahrhundert (2. Reihe, Abteilung 3)

   
Die Kaiseridee 
em Wido, Lambert, Ludwig III. der Blinde, Berengar und Hugo Kaiser wurden, nur 
als eine besondere Dekoration des Kónigtums in Italien aufzufassen. 
Erst Otto I. knüpfte wieder an die verloren gegangenen Füden universaler Kaiser- 
politik an, seine süditalienisehe und byzantinische Politik làuft in dieser Bahn. Im 
übrigen fate er das Kaisertum nüchterner auf. Otto stützte sich auf seine deutsche 
Macht und bezog unter realer Beschrüánkung auf das Erreichbare nur noch Burgund, 
Ober- und Mittelitalien in das Kaisertum ein.!) Er betonte dann vor allem die kirch- 
liche Pflicht des Kaisertums. Sie setzte ihn in die Lage, durch Ausnutzung der kaiser- 
lichen Aufgabe, die dem Inhaber der Kaiserkrone den Schutz der Kirche zur Pflicht 
machte, eine Autoritát über die einzelnen Püpste geltend zu machen, die im Reiche 
eine Stärkung der Herrschergewalt über die Kirche bedeutete; er ordnete die Kirche 
politisch dem Kaisertum unter. Die so umsehriebene Machtstellung war das „heilige 
römische Reich deutscher Nation‘. Dieser volle "Litel ist freilich erst allmählich ent- 
standen; der Zusatz deutscher Nation findet sich erst unter Friedrich III. und die 
Formel erst im Kolner Reichsabschied 1512.2) 
Otto hatte ein Recht auf das Kaisertum ; denn durch seine glücklichen Kämpfe 
gegen die Slawen und Böhmen, besonders durch seinen Sieg über die Ungarn war 
er bereits Vorkämpfer der Christenheit; durch sein Eingreifen in Frankreich, Burgund 
und Italien hatte er das Übergewicht ausschlaggebender Autoritàt im Westen erwor- 
ben. Damit war sein Kaiserberuf gegeben und innerlich begründet. Der dringende 
Hilferuf des Papstes kam nur als äußerer Anlaß, wie einst bei Karl d. Gr. hinzu; ihm 
durfte sich der König nicht entziehen, wollte er seinen bisherigen Erfolg nicht wieder 
untergraben.?) 
Die Erneuerung des Kaisertums war für den Herrscher des deutschen Volkes 
eine politische Notwendigkeit.) Es wurde dadurch der Gefahr begegnet, daB das 
Kaisertum an das Westreich oder dauernd an Italien kam, was bei der Erstarkung 
dieser Nationen ihre Einmischung in die deutschen Verhültnisse zur Folge gehabt und 
ihnen ein Übergewicht über Deutschland verliehen hätte. Es wurde ferner erst durch 
die so geschaffenen Beziehungen zum Papsttum die Möglichkeit einer auf die Kirche 
sich stützenden monarchischen Zentralgewalt, wie sie Otto nötig hatte, auf lange Zeit 
1) In Süditalien behauptet er Capua und Benevent und bereitet so wenigstens die Ausdehnung 
des Kaisertums auch über die südliche Halbinsel vor. 
2) K. ZEUMER, Heiliges rómisches Reich deutscher Nation. Eine Studie über den Reichs- 
titel (Quellen u. Studien z. Verfassungsgesch. des deutschen Reichs, Bd. 4. 1910). 
3) HzusLER, Vfg., S. 125: ,,In solchen Momenten gilt kein Zaudern, kein Überlegen, denn 
es gibt keine Wahl; ein Zurückweichen vor diesem letzten Schritte wàre eine das mühsam Errungene 
wieder in Frage stellende und dem hochgemuten Sinne Ottos fremde Schwüche gewesen. Der Konig 
selbst faßte es als göttlichen Befehl auf, ganz in dem Sinne eines religiösen Werkes zur Verwirk- 
lichung des Ideals . . . jenes so erhaben gedachten und doch so unmöglichen Gottesreiches auf Erden 
durch das Zusammenwirken der zwei Schwerter, der weltlichen und der geistlichen Gewalt.“ 
4) Früher bestand eine lebhafte Kontroverse, ob Ottos I. italienische Politik für unsere 
deutsche Entwicklung von Vorteil oder Nachteil war. Besonders der mehr unter politischem Ge- 
sichtswinkel urteilende Historiker H. v. SYBEL hat die italienischen Beziehungen unserer mittel- 
alterlichen Kaiser hart verurteilt. Vgl. v. SyBEL, Die deutsche Nation und das Kaiserreich. 1861. 
Wo politische Tendenzen dem Geschichtschreiber die Hand führen, da sind die Perspektiven leicht 
verschoben; die ganze Fragestellung war schief, sie war nicht objektiv gestellt, sondern subjektiv 
nach den damaligen Tagesinteressen gerichtet. Für die mittelalterliche Kaiserpolitik erwärmte sich 
damals am lebhaftesten JUL. v. FICKER, Das deutsche Kaiserreich in seinen universalen und natio- 
nalen Beziehungen, 1861; Derselbe, Deutsches Königtum und Kaisertum. 1862. Die Literatur 
über diese Streitfrage bei VARRENTRAPP, Histor. Bibliothek 3, S. 99£. u. 106f. Vgl. auch MAUREN- 
BRECHER, Die Kaiserpolitik Ottos I. HZ. 5. O. v. WYDENBRUCK, Die deutsche Nation und das 
Kaiserreich. 1862. C. HOFLER, Kaisertum und Papsttum. 1862. Die wissenschaftliche Frage kann 
nur die sein: War es fiir Otto eine Notwendigkeit, nach Italien zu zichen und infolge davon die 
Kaiserkrone zu erwerben? Diese Frage muß bejaht werden. Den Nachteilen, die im späteren Ge- 
folge eintraten, standen übrigens große Vorteile gegenüber. So auch DrETR. SCHÄFER, Deutsche 
Geschichte, Bad. 1, S. 162f. 
   
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
  
   
	        
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