386 R. Stegemann: Betriebseinrichtungen fiir die Wohlfahrt der Arbeiter.
III. Wert und Bedeutung der Wohlfahrtspflege.
Der Arbeitsprozeb in der modernen Fabrik entbehrt an sich jedes
persónliehen Zusammenhanges. Der Arbeiter bietet seine Arbeitskraft
an und der Arbeitgeber nimmt sie, meist ohne daß beide Kontrahenten
auch nur in persönliche Berührung kommen. In gleicher Weise
löst sich wieder ihr beiderseitiges Verhältnis, wenn beide Teile oder
einer von beiden „nicht mehr seine Rechnung findet“. Der Eintritt
und Austritt eines Arbeiters vollzieht sich in dieser Art ausschließlich
nach rechnerischen Grundsätzen. Kann der eine Teil die zwei Hände
billiger mieten, der andere teurer vermieten, so erfolgt die Trennung.
Dieses scheinbar exakte und vom beiderseitigen Interessenstand-
punkte zweckentsprechendste Verhältnis ist aber in Wirklichkeit nicht
das vorteilhafteste. So sehr auch Arbeitsteilung und der gesamte
Mechanismus der Fabrik die einzelne Arbeitskraft in ihrer individuellen
Wertung reduziert hat, selbst an dem untergeordnetsten Platze stellt
die besondere Erfahrung für den gesamten ArbeitsprozeB doch noch
ein Plus dar, das bei jedem Wechsel verloren geht und vom Nach-
folger erst wieder eingeholt werden muß. Genau rechnende Unter-
nehmer übersehen diesen Faktor daher nicht und sehen einen Teil
ihres Nutzens in der Schaffung und Erhaltung eines alten, gut ein-
gearbeiteten Arbeiterstammes.
Schon vom rein geschäftlichen Standpunkte wird der Unternehmer
daher bemüht sein müssen, seine Arbeiter möglichst an seinen Betrieb
zu fesseln. Es entspringt derselben Erwägung, wenn der Arbeitgeber
bei mangelnden Aufträgen lieber die Arbeitszeit als die Arbeiterzahl
vermindert.
Das Verhültnis des Arbeiters zu seiner Fabrik ist demgegen-
über ein freieres. Für ihn bedeutet der Wechsel der Arbeitsstütte in
der Regel keinen Verlust, da er nichts verliert, was er nicht an seiner
neuen Arbeitsstátte wiederzufinden erwarten darf Will daher ein
Fabrikant seine Arbeiter an seinen Betrieb fesseln, so muß er ihnen über
die regelmäßige Löhnung Vorteile und Anwartschaften bieten, die der
Arbeiter auch wirklich als solche bewertet, und deren Verlust für ihn
sozusagen zu Buche schlägt. Denn man darf sich darüber nicht
täuschen, Attraktionen immaterieller Art spielen bei den Entschlüssen
der Arbeiter durchschnittlich eine untergeordnete Rolle. Geld und
Geldeswert und was er dafür haben kann, das ist und bleibt der
Angelpunkt seines Lebens. Immer hart an die Schranke der täglichen
Notdurft gedrängt, blickt er nur ungern über die acht- oder vierzehn-
tägige Lohnperiode hinaus und ist im allgemeinen in seinem Gleich-
gewichte, wenn er die neue Lohnperiode ohne Unterbilanz antreten
darf. Gewiß lebt in der deutschen Arbeiterschaft in weitem Umfange
ein unveräußerliches Stück höherer Empfänglichkeit und geradezu