212 DIE FRANZÖSISCHE AUFKLARUNG,
Voltaire! (1694—1778) — dahin hatte er selbst durch Umstellung Entsteh
der Buchstaben seinen Namen Arouet 1(e) j(eune) geändert — war durch sowie «
seine vielseitige Rezeptivität zum Dolmetscher der englischen Ideen wie und de
geschaffen: er „vereinigt Newtons mechanische Naturphilosophie, Lockes der einf
erkenntnis-theoretischen Empirismus und Shaftesburys Moralphilosophie ersten
unter dem Gesichtspunkte des Deismus“ (WINDELBAND). Dieselben Gefühl,
Eigenschaften, durch die er der erste Journalist wurde, ermöglichen es irrigerw
ihm, die Philosophie vom schulmäßigen Gewande zu befreien und durch langte
Konzentration auf die für den Laien dringendsten Probleme (Gott, Frei- Der ric
heit, Unsterblichkeit) zu einer Lebensmacht fürs Volk zu machen. - Seine Brown
Oberflächlichkeit, sagt ERDMANN treffend, war seine Stärke. Die wahre Verstan
Religion, so lehrt uns die Vernunft, besteht darin, daß man Gott liebt müssen
und gegen: seine Mitmenschen als gegen seine Brüder gerecht und nach- Thätig
sichtig ist; die Moral ist‘ etwas so Natürliches und Notwendiges, daß es nur eir
kein Wunder ist, wenn alle Philosophen seit Zoroaster dieselbe Moral die the
lehren. Je weniger Dogmen, desto besser die Religion; schlimmer als haben
der Atheismus ist der Aberglaube, der mit ruhigem Gewissen Unthaten Locke
verüben lehrt. Diese beiden‘ unseligen Irrtümer zu vernichten, war ihm hier dı
die Hauptaufgabe seines Lebens. Den Atheismus, hat er mit Vernunft- Vorgän
gründen zu widerlegen gesucht, das positive Christentum und die Geist- genetisc
lichkeit, die‘ ihn verfolgte, mit leidenschaftlichem Haß und hönischem empfinc
Witz bekämpft. Das Dasein Gottes ist ihm nicht bloß ein moralisches standes
Postulat, sondern ein Resultat wissenschaftlicher Beweisführung. Bekannt kraft d
ist ‘das Wort: gäbe es keinen Gott, man müßte einen erfinden; aber die gewaltig
ganze Natur ruft uns vernehmlich genug zu, daß er existiert. Die Un- spreche
sterblichkeit hält er, wenigstens nach außen, trotz theoretischer Schwierig- Idealisı
keiten, wegen ihrer praktischen Unentbehrlichkeit aufrecht; der Willens- Fichte.
freiheit gegenüber, die er anfangs energisch verfochten, verhält er sich lehre u
mit: zunehmendem Alter immer skeptischer. Eine ähnliche Wandlung der. Be
erfuhr seine Steilung-zu der Frage des Übels: das Erdbeben von Lissabon zwische
machte ihn zum Gegner des Optimismus, dem er vormals selber gehul- drücklic
digt.‘ (Candıde 1757.) ist die
verfein«
2. Theoretischer und praktischer Sensualismus. mechar
Von der popularisierenden, den. Inhalt unverändert lassenden Her- er X
übernahme und Verbreitung der Lehren Lockes und verwandter ‚Denker ;
, a . - macht.
wenden wir uns zu der prinzipiellen Fortbildung derselben durch die El
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französischen Sensualisten. Condillac (1715—1780) fühlt sich durchaus kehren
als den Ergänzer Lockes, dessen Untersuchung nicht bis zur ersten v }
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Wurzel des Erkenntnisprozesses hinabsteige. Locke sei in der Verwerfung Sache“
des Angeborenen nicht weit genug gegangen, er habe unterlassen, der Reflex:
1 DAvıD FRIEDRICH STRAUSS, Voltaire, sechs Vorträge, 1870. Denkeı