44 DIE FRANZÖSISCHE SKEPSIS.
vor allem dies, daß sich so wenige auf die Kunst des Genießens ver- SR
stehen, in der er, als echter Weltmann, Meister war. rstube «
Den skeptisch-praktischen Standpunkt des Montaigne hat der Pariser HAEZLOSEN We
Geistliche Pierre Charron (1541—1603) in seinen drei Büchern von anckelt a
der Weisheit! zum System ausgearbeitet, Der Zweifel hat den doppelten ErSeNMniS n
Zweck, den Forschungsgeist wach zu halten und uns zum Glauben hinzu- Uran u.
leiten. Daraus, daß Vernunft und Erfahrung der Täuschung ausgesetzt N BOB
sind und der Geist über kein Mittel verfügt, . das Wahre vom Falschen aber weder %
zu unterscheiden, folgt, daß wir geboren sind, die Wahrheit zu suchen, Man dehnt
nicht sie zu besitzen. Die Wahrheit wohnt allein im Schoße der Gott- Von der Wei
heit, für uns ist Zweifel und Forschung das einzige Gut inmitten all des Mittel- oder
Irrtums und der Trübsal, die uns umgeben. Das Leben ist lauter Elend. Äändet die Pı
Der Mensch ist nur mittelmäßiger Dinge fähig, er kann nicht ganz gut gehe sie ihre
und nicht ganz böse sein, ist schwach in der Tugend, schwach im Laster, Ta der
das Beste verdirbt in seinen Händen. Auch die Religion krankt an der disponierten
allgemeinen Unvollkommenheit. Sie ist von der Nation und dem Lande gefehlt. Die
abhängig, jede gründet sich auf die vorhergehende; der übernatürliche Stoßch Bayle
Ursprung, dessen sich alle rühmen, kommt in Wahrheit nur der christ- deutsch 171%
lichen Offenbarung zu, die man in Demut, mit Unterwerfung der Vernunft, (+ 1721), Bis
annehmen muß. Doch legt Charron das Hauptgewicht auf die praktische Erkenntnis el
Seite des Christentums, die Pflichterfüllung, wie ihm auch die „Weisheit“, vorbereite,
welche das Thema seines Buches bildet, gleichbedeutend ist mit Recht-
schaffenheit (4r06bite), zu der die Selbsterkenntnis den Zugang öffnet und
die uns mit Seelenruhe belohnt. Doch nicht um dieses Lohnes willen
sollen wir sie üben, sondern weil Natur und Vernunft, d. i. Gott, schlechthin
(ganz abgesehen von den angenehmen Folgen der Tugend) fordern, daß In einen
wir gut seien. Wahre Rechtschaffenheit ist etwas anderes, als bloße man niemals
Gesetzlichkeit, denn bei äußerlich tadellosem Handeln können doch die Der Stein, d
Motive unlauter sein. Ich will, daß man ohne Paradies und Hölle ein kenntnistrieb
braver Mann sei, Die Religion will die Moral krönen, nicht sie erzeugen; verzweifelt, m
die Tugend ist älter und natürlicher als die Frömmigkeit. In der Be- führt nach in
stimmung des Verhältnisses von Religion und Moral, der Abgrenzung innerlich erfal
der Moralität gegen die Legalität und dem Dringen auf Reinheit der göttlichen Erl
Triebfeder (thue das Gute, weil das innere Gesetz der Vernunft es sich in Suso
gebietet) kann man eine Vorausnahme Kantischer Grundsätze erkennen. broek (um 13
Bei Franz Sanchez (Sanctius, + 1632; Hauptwerk: quod nihil scitur Richtung gen!
1581), gebürtig aus Portugal, Professor der Medizin in Montpellier und Zweige und }
Toulouse, ist die Skepsis weniger melancholische Betrachtung als ein E
kräftig frisches Suchen nach neuen Aufgaben. An die Stelle der nach 1 Meister
ihn haben gesec]
zweiten Teil de:
1 De Ina. sagesse 1601; über dieses Werk handelt LIEBSCHER 1890. Vorher Tatur und Kult
hatte Charron geschrieben: Z7ois vErites contre tous athees, idolätres, juifs, moha- Gemüits in der‘
möetans, heretiques et schismatiques 1594. Psychologie, I),