Full text: Geschichte der neueren Philosophie von Nikolaus von Kues bis zur Gegenwart

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fichteanismus und Neuhegelianismus. Ihr Führer war Thomas Hill G 
Green. Im Gegensatz zum Empirismus behauptet er, alle Erfahrung el 
bestehe aus Beziehungen zwischen Tatsachen. Daher ist Erkenntnis C 
nur möglich für ein Selbstbewußtsein; ebenso hängt die Natur, als ein C 
System von Beziehungen, von einem geistigen Prinzip ab, dessen Ausdruck 51 
sie ist. Das System der Erfahrung setzt eine verbindende Kraft voraus: D 
der absolute Geist macht die Welt zu einer Einheit... Der Kerngedanke V 
seiner Philosophie lautet demnach: das Universum ist eine ewige Tätigkeit 1 
oder Kraft, deren Wesen es ist, selbstbewußt, d. h. selbst und nichtselbst SE 
zugleich zu sein. Wir sind Manifestationen oder „Kommunikationen“ 1 
dieses zeitlosen allgemeinen Bewußtseins unter den Begrenzungen E 
unserer physischen Organisation. Als solche sind wir frei, d.h. durch S 
uns selbst, durch nichts Äußeres bestimmt. Das sittliche Ideal ist Selbst- ; 
realisation, Vervollkommnung, fortschreitende Reproduktion des gött- C 
lichen Selbstbewußtseins. Als selbstbewußte Persönlichkeit aber kann S 
sich der göttliche. Geist nur in Personen reproduzieren; und da „soziales S 
Leben für die Persönlichkeit ist, was die Sprache für. das Denken“‘, so 
fordert die Verwirklichung der sittlichen Aufgabe das Leben in. Gemein- 
schaft. Ihre nähere Bestimmung ist in den Offenbarungen des ewigen 
Geistes in der sittlichen Geschichte der Einzelnen und der Völker zu 
suchen. Sie zeigt, was bereits in der Beziehung 'der Sittlichkeit auf Per- 
sönlichkeit und Gesellschaft eingeschlossen lag, daß das sittlich Gute 
vor allem ein gemeinschaftlich Gutes sein muß, ein solches, worin das 
dauernde Wohlsein des Einzelnen auch das Wohlsein Anderer umfaßt. 
Wie Lotze lehrt Francis Herbert Bradley! in Oxford, es sei 
uns. versagt, die Mannigfaltigkeit der Dinge aus einer letzten Einheit 
herzuleiten, versucht aber den Aufstieg vom Endlichen zum Weltgrunde. 
Am wohlsten fühlt er sich an‘/den Grenzen des Denkens, von denen aus 
er rückblickend zum Skeptiker, vorausblickend zum Mystiker wird. Meta- 
physik befriedigt die mystische Seite unseres Wesens; sie entspringt aus 
der sich selbst rechtfertigenden. Überzeugung; des Geistes, mit einem 
Höheren jenseits der sichtbaren Welt eng verbunden zu *sein, und dem 
leidenschaftlichen Wunsche, den Kern des Daseins zu verstehen. Da 
das“ Denken dem Wirklichen inkongruent bleibt, ist vollständige Er- 
kenntnis des Absoluten unmöglich, möglich aber eine Annäherung an 
sie, denn wir besitzen ein Kriterium für die Scheidung von Ansich und 
Erscheinung. Wie unser sittliches Streben auf eine Selbstverwirklichung 
des Ich zu einer reichen und ausgeglichenen Totalität geht, so der theo- 
retische Trieb auf Erkenntnis des Daseins als eines zusammenhängenden 
* Fr. Bradley (geb. 1846): Ethical studies 1876; The Principles of logic 1883; 
Appearance and reality 1893, 2. A. 1902; Essays on thrut and reality 1914. Über seine 
Metaphysik H. Evans, Leipz. 1902 und_H. Rasuoaıı, Lond. 1912.
	        
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