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das Studium an Erzskulpturen deutlich erweisen. Die Gleich-
heit der beiden Gesichtshälften in feinster mathematischer Ab-
wägung bei gleichsam betontem Geseze und exaktester Kon-
struktion der beleuchteten und beschatteten Partien in den
feinsten Schwingungen durchgeführt. Im Kopf des hl. Michael
fönnte wohl das Porträt des jugendlichen Leonardo ge-
geben sein. Die bekannten Bildnisse aus späterer Zeit sprechen
eher dafür als dagegen. Die nach vorn und erhöht liegende
NRasenwurzel, eine besondere Eigenheit des Verrocchio-Leonar-
doschen Typus, gehört hier wohl der Natur selbst an. Er
ist voll Geheimnis und Adel, wie den inneren unbewußten
Jubel der Schöpfung über sich selbst ausdrü>end. Mit
Staunen scheinen diese Wesen in die Welt zu blicken, für
welche sie zu sehr gebildet sind, einen Hauch des Göttlichen,
Schicksallosen an sich habend. Die beiden Hände de8 Raphael
und des Tobias sind ein Wunder von Au3druc>k. Tobias
seine, die voll scheuer Ehrfurcht und kindlichen Vertrauens
die des Engels berührt, dieser, der ihn lenkt, mit der Liebe
einer Welt, die für alle gleich ist. Abwägen der beiden Ge-
sichtshälften, die in Licht und Schatten durch einen reichen
Verlauf feiner Schwingungen die Grundebene innehalten und
durch die präciseste Formengebung beweisen, daß vollkommen
ausgearbeitete Thonmodelle, vielleicht auch Studien an Erz-
büsten zur Vorarbeit dieses Bildes gehört haben.
Und doch wird durch den Aufwand rein bildnerischer
Leistung in höchster Anforderung die geistige Absicht des
Bildes nicht verkümmert, der Ausdruck nicht gelähmt, wie
etwa bei den Pollaiuoli, sondern eben diese Absicht beherrscht
no< durch das ganze Bild diese aufreibende Bemühung der
Gründlichkeit, welche uns im 15. Jahrhundert so oft allein
schon als einziges künstlerisches Ziel vorkommt.
In Schritt und Wendung des Raphael liegt eine un-
sagbare Hoheit; der Gegensaß des himmlischen Abgesandten
zum schulzbedürftigen Erdenkinde.