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Alle diese Eigentümlichkeiten begreift nun die heutige
Bildhauer-Sprache unter dem Ausdruck „Verhauen“. Be-
merkenswert bleibt für Michelangelo, daß er solche ver-
hauene Werke nicht mit ausreichendem Material wiederholt,
und jeder, der vor seinen Werken den künstlerischen Impetus
fühlt, unter dem sie entstanden sind, wird das auch be-
greiflich finden. Denn die Wiederholung wäre doch nur
eine Kopie des Originals, und zu einer solchen pflegen die
Götter nicht mehr Pate zu stehen. Michelangelo aber
hat den Wunsch der Welt immer mißachtet und mit
fühnem und unbewußtem Egoismus nur seinem inneren
Triebe Genüge geleistet. Wohl mag er manche seiner Ge-
staiten in oielen Redaktionen entworfen haben, und seine
Handazeichnungen beweisen dieses auch, aber ausgeführt hat
er jedes Werk sicher nur einmal.
Was ihm innerlich vorschwebte, war aber auch stets
ein Grad höchster Vollendung der Formen, über welche
hinaus er keine Forderung mehr in sich fühlte. Diese sorg-
fältige Vollendung zeigen nun seine Werke in vielen Teilen,
und wo sie nicht soweit vorhanden war, als es möglich
schien, darf man mit Bestimmtheit annehmen, daß seine
Lust ebenda erlahmte, wo er zur Einsicht gelangte, daß das
ganze Werk in der ursprünglichen Intention überhaupt
nicht zu Ende zu führen sei. Dieser Moment trat aber bei
verschiedenen Arbeiten in verschiedenen Stadien ein, da
Michelangelo nicht gleichmäßig über alle Teile fortschreitend
ein Werk seiner Vollendung zuführte, sondern ganz nach
innerem Behagen aus dem in ganz allgemeinen Zügen
zurecht geschlagenen Blok sogleich irgend eine Partie bis
auf die lezte Oberfläche ausarbeitete und so nach Gutdünien
hierin fortfuhr, so daß sich unter Umständen erst ziemlich
spät die Notwendigkeit aufdrängen mochte, die Arbeit liegen,
oder das beabsichtigte Motiv, sei es ganz, sei es teilweise,
fallen zu lassen oder irgendwie einzuschränfen. Darau8 er-