endlich viel auszudrücken, mit einem einzigen Worte ganze
Welten von ungemessener Weite zu eröffnen. Wie mit einem
Zauberschlage bemächtigt sie sich der Phantasie des Lesers
und übt an ihr ihre abgründige Gewalt.
Die Regel, daß der Dichter neue Reime suchen müsse,
um heutzutage noch ein ordentliches Gedicht zu machen, daß
man „vergehen“ und „verwehen“, „Herz“ und „Schmerz“ 2c.
nicht mehr als Reime gebrauchen dürfe, kennt Greif nicht.
Vielmehr verschmäht er neue und fremdklingende Neime, die
fortwährend die notwendige Raschheit in der Wirkung des
bildlichen Eindruckes unterbrechen, und will nichts wissen
von dem prunlsüchtigen Kunstmaterial als solchem, welches
eines sensitiven Zusammenhanges mit dem Inhalte entbehrt.
Er gebraucht meistens herkömmliche Reime, weiß fie aber so
zu verwenden, daß sie immer auf den rhythmischen Berlauf
de3 Gedichtes befördernd wirken und, ohne sich dem Ohre
aufzudrängen, die musikalische Seite desselben markieren, so
daß sie als die Hauptträger der in der jeweiligen Stimmung
bedingten Klangfarbe und Klangfülle zugleich erscheinen.
Seine Reime sind die emsigsten Arbeiter in der Herstellung
des Totaleindruckes, sein bevorzugtes Kunstmittel, womit er
all die feineren Komplexionen des Gefühlsleben3s zum Aus-
drucke bringt. Als Beispiel dieser anspruchslosen, aber sehr
verständniSvollen Behandlung des Reimes mögen die lekten
Strophen des Gedichtes: „Resignation“ dienen, die ein
Goethescher Fluß auszeichnet:
Jeder Wehruf ist verschollen,
Jede Klage ist verweht,
Wo mit seinem wechselvollen
Los ein neu Geschlecht ersteht
Andrer Jugend goldne Tage,
Andern Alters steile Bahn,
Neue Freude, neue Klage =-
Alle8 hebt von neuem an.
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