Full text: Adolf Bayersdorfers Leben und Schriften

endlich viel auszudrücken, mit einem einzigen Worte ganze 
Welten von ungemessener Weite zu eröffnen. Wie mit einem 
Zauberschlage bemächtigt sie sich der Phantasie des Lesers 
und übt an ihr ihre abgründige Gewalt. 
Die Regel, daß der Dichter neue Reime suchen müsse, 
um heutzutage noch ein ordentliches Gedicht zu machen, daß 
man „vergehen“ und „verwehen“, „Herz“ und „Schmerz“ 2c. 
nicht mehr als Reime gebrauchen dürfe, kennt Greif nicht. 
Vielmehr verschmäht er neue und fremdklingende Neime, die 
fortwährend die notwendige Raschheit in der Wirkung des 
bildlichen Eindruckes unterbrechen, und will nichts wissen 
von dem prunlsüchtigen Kunstmaterial als solchem, welches 
eines sensitiven Zusammenhanges mit dem Inhalte entbehrt. 
Er gebraucht meistens herkömmliche Reime, weiß fie aber so 
zu verwenden, daß sie immer auf den rhythmischen Berlauf 
de3 Gedichtes befördernd wirken und, ohne sich dem Ohre 
aufzudrängen, die musikalische Seite desselben markieren, so 
daß sie als die Hauptträger der in der jeweiligen Stimmung 
bedingten Klangfarbe und Klangfülle zugleich erscheinen. 
Seine Reime sind die emsigsten Arbeiter in der Herstellung 
des Totaleindruckes, sein bevorzugtes Kunstmittel, womit er 
all die feineren Komplexionen des Gefühlsleben3s zum Aus- 
drucke bringt. Als Beispiel dieser anspruchslosen, aber sehr 
verständniSvollen Behandlung des Reimes mögen die lekten 
Strophen des Gedichtes: „Resignation“ dienen, die ein 
Goethescher Fluß auszeichnet: 
Jeder Wehruf ist verschollen, 
Jede Klage ist verweht, 
Wo mit seinem wechselvollen 
Los ein neu Geschlecht ersteht 
Andrer Jugend goldne Tage, 
Andern Alters steile Bahn, 
Neue Freude, neue Klage =- 
Alle8 hebt von neuem an. 
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