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Die „Walküre“ von Richard Wagner
(Neue Freie Presse)
l.
München, 24. Juni 1870
Die Hauptprobe der „Walküre“, welche mit einer Auf-
führung vollständig identisch war, fand soeben vor einem
zahlreichen und gewählten Publikum statt und nahm, ohne
(mit Ausnabme der Zwischenakte) eine Unterbrechung zu er-
leiden, mehr denn fünf Stunden in Anspruch. Der nicht
geringe Applaus mochte mehr den Darstellenden als dem
Componisten gelten; ja ex mochte zum Teil sogar eine De-
monstration für die Theaterleizung sein, welche dieSmal ihr
Bestes leistete, ohne von Wagner oder seiner nächsten Freund=
schaft direkt inspiriert zu sein.
. Darf man aus Wagners Brief an Heinrich Esser*)
schließen, so ist den eigentlichen Eingeweihten, die sich bis zu der
Region „Catulle Mendes“**) durc<gerungen haben, eine Aner-
kennung in Sachen der Aufführung, im Grunde genommen,
untersagt. Doch war dieselbe, wie gesagt, gut, und die Regie
hatte sich alle Mühe gegeben, einige Natürlichkeit in die extra-
vagante scenische Phantasie des Componisten zu bringen; aber
man konnte sich nicht erwärmen an dieser Willkür des Wunder-
baren, das auf so unvermittelte Weise mit menschlicher Schwäche
durchsegt ist. Die Besezung mit nur einheimischen Kräften schien
*) Componist und Kapellmeister, geb. 15. Juli 1818 in Mann-
heim, gest. 3. Juni 1872 in Salzburg. Von 1857 bis zu seiner Pen-
sionierung im Jahre 1869 war GE. Direktor der Wiener Hofoper. A. d. H.
3*) Französischer Dichter und Publizist, der mit seiner Gattin
Judith Gautier zu den ersten Wagnerianern in Frankreich gehörte.
M.D O;