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vollständig ausreichend, wenn man bedachte, daß überhaupt
jene Wucht der Erscheinung und der Stimme selten wird
gefunden werden, mit welchen solch re>enhafte Gestalten
ohne einen Abfall der erwarteten JUlusion zur Darstellung
gebracht werden können. Es hat immer etwas Mißliches,
wenn eine breitgeschürzte, mit störend reichem Haarwuchse
ausgestattete Walküre ihren eruptiven Leidenschaften, welche,
wenn man dem Orchester glauben darf, wie eine Elementar-
gewalt hervorbrechen, mit einer modernen, dünnklingenden
Frauenstimme Ausdruck leiht. Wenn diese Oper in München
nicht auf die Dauer interessiert (vom Gefallen dürfte über-
haupt weniger die Rede sein), so liegt die Schuld gewiß
weder an der Kapelle, no< an der Regie, no< an den mit-
wirkenden Künstlern, no<g an der Leitung des Ganzen,
sondern an dem Werke selbst. Viel besser hätten es die
berufensten Wagnerapostel auch nicht auf die Beine gebracht.
Die Musik bot für solche, welche Wagner überhaupt
schon kennen, nichts wesentlich Neues und erinnerte in der
Hauptsache auffallend an „Tristan“, mit welchem die Oper
auch in vielen Situationen verwandt ist. Dieselben un-
gesunden, undefinierbaren Liebschaften, welche gerne in so-
genannte stumme Scenen a'!8arten, in denen das Liebe8paar
in visionär verzücktes gegenseitiges Anstaunen gebannt ist und
das fommentierende Orchester in eine unbegreifliche Exalta-
tion gerät, spielen auch in dieser Oper eine hervorragende
Rolle. Alle Gestalten sind mit einer merkwürdigen Energie
non außen her auf eine sehr hörbare und naheliegende Weise
<arafkterisiert, nicht aber von innen heraus empfunden und
mit menschlicher Wahrheit ausgestattet und lebensfähig ge-
macht. Es sind wesenlose Schemen, deren Leidenschaften
man nicht begreift, welche nie den hinter ihnen stehenden
herrischen, reflektierenden Willen des Komponisten vergessen
machen, der sie zu dieser und jener Ungeheuerlichfeit aufbläht.
Gewiß lebt in diesen Werken ein eigensinnige38, aber
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