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(Ohne Datum. Wahrscheinlich Januar 1867.)
Mein liebes gutes Gretchen!
IJ *
Ich weiß gar nicht mehr, wie lieb ich Dich habe; denn
ich weiß nicht mehr, wie ich ohne Dich war. So kann einer,
der mitten im Meere ist, nicht wissen, wie groß es ist, wenn
er das Land nicht mehr sieht.
Mir gehen heute einige Zeilen von Goethe nicht aus
dem Kopfe:
„-- = Aber den Einsamen hüll*
In deine Goldwolken.
Umgieb mit Wintergrün,
Bis die Rose wieder heranreift,
Die feuchten Haare (
O Liebe, Deines Dichters!
Mit der dämmernden Fackel
Leuchtest Du ihm
Durch die Furten bei Nacht,
Über grundlose Wege
Auf öden Gefilden.
Mit dem tausendstimmigen Morgen
Lachst Du in's Herz ihm;
Mit dem beizenden Sturm
Trägst Du ihn hoch empor “
Die prächtigen Bilder wollen mir nicht aus der Seele;
denn sie sind mir aus der Seele genommen und ich weiß
gewiß, daß ich selbst gesehen habe, wie Du mit der vämmern-
den Fackel mir voranschwebtest, als ich zaghaft am Flusse
stand und im Scheine Deiner Leuchte die Wellen emsig
glißerten, eintönig in die Nacht hineinmurmelnd ; wie Du
dann durch die Heide mir voranzogest in gemessener Bewe-
gung, das Haupt halb gewendet nach mir, beleuchtet vom