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ihrer Unerfahrenheit, und die jungen Grafen standen mit
Bereiterstiefeln und Reitpeitschen um den Fall herum und
machten stehengebliebene Gesichter. Am liebsten hätten sie auch
geweint, wenn das nicht gegen die Stiefel gewesen wäre.
Die alte Gräfin und ein Stubenmädchen bemühten sich mit
erprobten Hausmitteln um die Kranke, und der alte Herr
Graf nahm der bewußtlos Daliegenden ein zerknittertes
Papier aus der Hand, entfaltete es und las: „Militär-Ent-
lassungsschein.“ In diesem Denkmal polizeilicher Konster-
niertheit wurde der Moriz N. aus der Altersklasse 1801,
Tochter des weiland Reichskammergericht8-2c. 2c. -Registraturs-
kanzlisten, wegen allgemeiner Untauglichkeit seiner Militär-
dienstpflicht lo8-undlediggesprochen. Die Rubrik „Signalement“
war unausgefüllt geblieben; selbst der item: „Besondere
Kennzeichen“ hatte den Beamten zu keiner naheliegenden
Notiz veranlassen können. Mit diesem Talisman hätte freilich
Tante Moriß allen künftigen Anforderungen des Kriegsministers
entgegentreten können, wenn dieser noch einmal Anspruch auf
die friedliche Amazone hätte erheben wollen.
Natürlich vergingen damals die Krämpfe wieder, und
die gute Tante hat in der Folge manche schwerere Krankheit
zu bestehen gehabt, bis endlich eine sie ganz ablöste und aller
Konskription8gefahr entrückte. Mit dem gegilbten und ver-
bleichten Nachlasse der braven alten Jungfer, aus dem ich
eine ganze LebenS8geschichte von kleinen Freuden und großen
Entbehrungen, ein standhaft durchgerungene8 Dasein von
Armut und Ehre herauslesen mußte, habe ich auch den
Militärentlassungsschein geerbt, den ich als ein Andenken an
die gute alte Zeit, an die selige Tante, an den Großonkel
mit dem Haarbeutel und an die verdrehte Polizei meiner
Vaterstadt noch immer aufbewahre.
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