Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

30 RUDOLPH SOHM: System des bürgerlichen Rechts. 
daß grundsätzlich der wahre Eigentümer dem verkehrsmäßigen Erwerber 
vorgeht. Nur daß dem Eigentümer für die Geltendmachung seines Eigen- 
tums eine bestimmte Frist (die Ersitzungsfrist) gesetzt ist. 
Dem neuzeitlichen Verkehr kann die Ersitzung nicht genügen. Einmal: 
die Ersitzung schützt nur den Eigentumserwerb. an Sachen, nicht sonstigen 
verfügungsmäßigen Erwerb. Zum andern: die Ersitzung arbeitet zu langsam. 
Der Verkehr der Gegenwart fordert sofortige Sicherheit des verkehrs- 
mäßigen Erwerbs. Der Verkehr von heute kann nicht warten. Er will 
sofort den Vorrang des Erwerbers vor dem Eigentümer. Der Schutz des 
gutgläubigen Verkehrs ist ihm wichtiger als der Schutz des wahren Eigen- 
tums. Der geldwirtschaftliche Verkehr verlangt die Beseitigung der Er- 
sitzungsfrist. 
Legitimation. Die große Reform des Verkehrsrechts, um die es sich an dieser Stelle 
handelt, ist durch das bürgerliche Gesetzbuch vollzogen worden. Die Er- 
sitzung spielt im bürgerlichen Gesetzbuch nur noch eine ganz unter- 
geordnete Rolle. Die Sicherung des Verkehrs wird durch andere viel 
weiter greifende, sofortige Erwerbswirkung schaffende Rechtssätze erreicht: 
durch die Rechtssätze von der Legitimation. 
Legitimation ist nicht Verfügungsberechtigung, aber sie ersetzt die 
Verfügungsberechtigung für den Verkehr. Sie macht das Verfügungs- 
geschäft des Nichtberechtigten wirksam zu Lasten des in Wahrheit Be- 
rechtigten, zugunsten des gutgläubigen Verfügungserwerbers. Legiti- 
mation ist der für den Verkehr ausreichende Ausweis der Verfügungs- 
berechtigung. Wer legitimiert ist, d.h. wer solchen Ausweis besitzt, gilt 
zugunsten des gutgläubigen Verkehrs als verfügungsberechtigt, mag er 
in Wahrheit berechtigt sein oder nicht. 
Eine ganze Reihe von Rechtssätzen des bürgerlichen Gesetzbuchs 
handelt von der Legitimation, von den Vorschriften „zugunsten der- 
jenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten“, d.h. von 
dem Erwerbe durch Verfügung eines Nichtberechtigten. Für den Fahrnis- 
verkehr legitimiert der Besitz: der gutgläubige Erwerb durch Verfügung 
des Besitzers der beweglichen Sache ist grundsätzlich (falls nicht die 
Sache dem wahren Eigentümer wider Willen abhanden gekommen war) 
sofort wirksamer Erwerb (es bedarf keiner Ersitzung). Für den Liegen- 
schaftsverkehr legitimiert die Eintragung im Grundbuch: der gutgläubige 
Erwerb von dem, der als berechtigt im Grundbuch eingetragen steht, ist 
grundsätzlich ein sofort wirksamer Erwerb, auch wenn der im Grundbuch 
Eingetragene in Wahrheit nicht der Berechtigte ist. Die Gläubiger- 
legitimation behält der bisherige Gläubiger dem gutgläubigen Schuldner 
gegenüber, auch wenn die Gläubigerschaft des bisherigen Gläubigers 
durch Abtretung der Forderung an einen Dritten bereits ihr Ende er- 
reicht hat: solange der Schuldner von der geschehenen Abtretung keine 
Kenntnis hat, kann der bisherige Gläubiger ihm wirksam die Schuld er- 
lassen, ihn durch Zahlungsannahme von der Schuld befreien usf. Die
	        
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