54 RUDOLPH SOHM: System des bürgerlichen Rechts.
Übergabe des Grundstücks heißt in der deutschen Rechtssprache Gewere,
lateinisch „investitura“, wörtlich: Bekleidung (mit dem Grundstück). Erwerb
eines Grundstücks macht zum „bekleideten“ Mann; der Grundbesitzlose ist
ein unbekleideter Ohnehosenmann. Die Form der Investitur bestand ur-
sprünglich in Zuziehung von Zeugen und der Vornahme von symbolischen
Handlungen auf dem Grundstücke. Seit dem ı2. Jahrhundert ist die gericht-
liche Investitur (die gerichtliche „Auflassung“), eine symbolische Übergabe
des Grundstücks vor Gericht, die regelmäßige Veräußerungsform geworden,
aus der dann die heutige Auflassung, überhaupt der Grundbuchverkehr
geschichtlich hervorgegangen ist. Die gerichtliche Investitur ward im Ge-
richtsbuch (in den Städten im Stadtbuch), also in einem öffentlichen Buch,
beurkundet, und der Beurkundungsakt, der ursprünglich nur dem Beweise
diente, ward zu einem wesentlichen Bestandteil des Rechtserwerbsgrunds
selbst.
Rezeption des Als das römische Recht in Deutschland aufgenommen wurde, ging
‚Eschen dem Grundbesitz seine privatrechtliche Sonderstellung verloren. Die Zeit
der Geldwirtschaft war gekommen. Die Fahrnis trat ihre Herrschaft an.
Auch der Grundbesitz ward Geld, d.h. bewegliches Vermögen. Dem ent-
sprach das nivellierende, keinen Unterschied zwischen Fahrnis und Liegen-
schaft kennende römische Sachenrecht, das sich nunmehr als gemeines
deutsches Sachenrecht durchsetzte. Das Grundstück ward privatrechtlich
mobilisiert, und wie der Fahrnisverkehr so vollzog sich nunmehr auch der
Liegenschaftsverkehr durch formlose Besitzübergabe (Traditionsprinzip).
Die öffentliche Form der Liegenschaftsübertragung verschwand aus den
meisten Land- und Stadtrechten. Nur in einigen norddeutschen Städten
blieb die Auflassung zu Stadtbuch, und in einigen Landrechten, ins-
besondere im gemeinen Sachsenrecht, die gerichtliche Bestätigung des
Veräußerungsgeschäfts (investitura allodialis) als Rest des alten Investitur-
rechts übrig.
Das neuzeitliche Aber die altdeutsche Unterscheidung von Liegenschaft und Fahrnis
Sachenrecht, „ng mit ihr die altdeutsche Feierlichkeit der gerichtlichen Investitur hat
in neuerer Zeit eine Auferstehung erfahren. Seit dem 18. Jahrhundert
setzt die Entwickelung des neuzeitlichen Grundbuchrechts ein, das den
Grundbesitzverkehr wiederum mit öffentlichen Formen bekleidete. Die
österreichische Gesetzgebung machte den Anfang. Ihren Anregungen
folgte Preußen. Im 19. Jahrhundert ist eine immer größer werdende Zahl
von Landesrechten auf den Boden des neuen Rechts getreten.
Der Sinn des neuen Rechts war jedoch ein anderer, als der des alten.
Wenn zwei Zeitalter dasselbe tun, ist es nicht dasselbe. Es war nicht
mehr die Naturalwirtschaft, sondern die Geldwirtschaft, welche die privat-
rechtliche Sonderstellung des Grundbesitzes verlangte. Ihren Ausgang
nahm die neuzeitliche Entwickelung vom Hypothekenrecht. Das Grund-
stück ist naturgemäß der beste Träger des Realkredits. Es galt, der
Grundstücksverpfändung eine Form zu schaffen, die den Gläubiger wirk-