Schluß. 83
in allen ohne Unterschied. Wäre das nicht, müßte jedes Darlehn, jeder
Mietzins, jeder Kaufpreis mit Gewalt eingetrieben werden, so wäre es
mit der Geltung unseres Privatrechts sofort zu Ende. Das ‘Privatrecht
ist, weil es jeden ohne Ausnahme unmittelbar berührt und in’ Anspruch
nimmt, in noch weit höherem Grade von der allgemeinen inneren Zu-
stimmung abhängig als das öffentliche Recht. Sobald das allgemeine
Rechtsbewußtsein nicht mehr hinter dem geltenden Rechte steht, ist seine
Lebenskraft zu Ende.
Das Recht (als Ganzes) dient niemals der Selbstsucht einzelner Klassen.
Es dient immer lediglich der Nation.
Gerade deshalb folgt das geltende Recht, auch das Privatrecht, so
naturnotwendig den Wandlungen des Volkslebens. Es ändert unaufhörlich
seinen Inhalt, häufig unmerklich und unbewußt — die großen Atemzüge
des Volks. und Rechtslebens sind regelmäßig für die Mitlebenden unhör-
bar, — aber um so unwiderstehlicher. „Alles fließt.“ Die Rechtsentwicke-
lung läßt sich nicht bändigen noch festhalten : im Interesse der gegen-
wärtig etwa Begünstigten. Auch hier gibt es für den Wechsel von
Sonne und Mond kein: Stehe still! Wo ist das aristokratische Privat-
recht geblieben, das vor einem Jahrtausend die Macht des hohen Adels
über Hintersassen und Vasallen begründete? Wo das junkerliche Privat-
recht, das im späteren Mittelalter dem niederen Adel zum Mittel seines
Emporsteigens ward? Der dritte Stand ist in die Herrschaft eingetreten,
und unser Privatrecht ist in der Hauptsache bürgerliches Recht. Der
Kaufmann hat in der Macht über das Privatrecht den Junker abgelöst. Über
dem Tor der Rechtsgeschichte lesen wir nicht die Dantesche Höllen-
inschrift. Im Gegenteil. Mit goldenen Lettern steht geschrieben: Hier
ist das Land der Hoffnung, ist Bahn zur Emporentwickelung für alle
Niederen!
Gewiß, kein glücklicher Zufall und kein Beschluß einer gesetzgebenden
Versammlung kann von heute auf morgen die Lage ganzer Schichten der
Gesellschaft umgestalten. Zum Aufsteigen gehört das Verdienen aus eigener
Kraft, das Gewinnen von Macht durch Leistungen für das nationale
Leben. Nicht die gleichmäßige, sondern die gerechte Verteilung der
nationalen Güter ist die Aufgabe der Rechtsordnung. Jedem das Seine!
Jedem, was ihm gebührt, was ihm gebührt nach seinen Leistungen für
das Volksganze! Danach bestimmt sich unweigerlich die Rechtslage
nicht unmittelbar jedes Einzelnen, wohl aber der gesellschaftlichen
Klassen. Höhere Macht kann nur durch höhere Leistung errungen
werden. Nur durch Dienen kannst du herrschen. Der Einfluß des dritten
Standes auf das geltende Recht ruht nicht auf seiner Selbstsucht, sondern
darauf, daß er der Schöpfer unserer Bildung ist. Das Recht dient dem
Volke und darum an erster Stelle denen, welche die Kraft des nationalen
Lebens verkörpern. Jedem das Seine. Das Emporsteigen des vierten
Standes ist im Werke. Es wird in dem Augenblick unwiderstehlich
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