Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

A. Das Strafrecht. I. Der Entwicklungsgang im 19. Jahrhundert. 201 
genossenschaft (gearbeitet von Stooß). In diesen beiden Gesetzbüchern 
ist wenigstens ein Teil der über das 19. Jahrhundert hinausweisenden Ge- 
danken (s. unten Abschnitt ILI) verwirklicht worden. Sie gehören mithin nicht 
mehr in den Rahmen dieser Übersicht. 
2». Die Wissenschaft. An all diesen legislativen Arbeiten des In- Die deutsche 
landes wie des Auslandes hat die deutsche Wissenschaft lebhaften und N arahafe 
erfolgreichen Anteil genommen. Unmittelbar durch positive Vorschläge 
und kritische Prüfung; mittelbar durch die systematische und kommenta- 
torische Verarbeitung des geltenden Rechtes, durch rechtsgeschichtliche und 
rechtsvergleichende Forschungen. 
Das Schwergewicht ihrer Tätigkeit, der über das Jahrhundert hinaus- 
reichende Teil ihrer Arbeitsleistung, aber liegt in der Durchdringung. und 
Weiterbildung der allgemeinen Lehren des Strafrechts. Hier ist sie zu einer 
Schärfe der Begriffsbildung gelangt, durch die selbst die stolze römische Juris- 
prudenz in den Schatten gestellt wird. In der Durchbildung der beiden Schuld- 
formen Vorsatz und Fahrlässigkeit, in der Behandlung des Verbrechens- 
versuches und der Teilnahme am Verbrechen, in der Lehre von den 
Unterlassungsdelikten oder von den Gründen, durch welche die Rechts- 
widrigkeit des Handelns ausgeschlossen wird und in zahlreichen anderen 
Fragen des „allgemeinen Teiles“, hat die strafrechtliche Wissenschaft ihre 
Zwillingsschwester, die privatrechtliche Deliktslehre, weit hinter sich ge- 
lassen. Trotz vielfacher Hinneigung zu weltfremdem Formalismus, trotz 
der Überschätzung des rein logischen Elements hat die strafrechtliche 
Dogmatik hier dauernde Ergebnisse geschaffen. 
Und wie an alle großen Kodifikationen, So knüpft auch an das Ins- 
lebentreten des Reichsstrafgesetzbuches eine neue Blütezeit der dogmati- 
schen Strafrechtswissenschaft. Befreit von den Fesseln des Partikularismus, 
belebt von der Freude an dem einheitlichen Gesetzbuch, dessen schwere 
Fehler in der ersten Begeisterung übersehen wurden, bauten die juris- 
tischen Dogmatiker ihre Begriffsgebäude auf. Unter den Verfassern von 
Lehr- und Handbüchern des deutschen Reichsstrafrechts sind Berner, 
Binding, Haelschner, Merkel, Hugo Meyer, neuerdings auch Finger zu 
nennen; die besten Kommentare haben Olshausen und Frank geliefert. 
Durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts wurde die Erörterung der 
Streitfragen in lebhaftem Fluß gehalten, Zu den beiden älteren strafrecht- 
lichen Zeitschriften, Goltdammers bereits erwähntem Archiv und dem Gerichts- 
saal, tritt 1880 die von Dochow (} 1881) und von Liszt gegründete Zeit- 
schrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. 
Bei allen‘ diesen Untersuchungen hat die strafrechtliche Wissenschaft Die Philosophie 
mit den philosophischen Systemen des 19. Jahrhunderts ungleich engere “° Stra 
Fühlung behalten als irgendeiner von den übrigen Rechtszweigen. Dieser 
Zusammenhang zwischen strafrechtlicher Dogmatik und Philosophie äußert 
sich besonders deutlich in den Lehrmeinungen über das Wesen und den 
Zweck der Strafe. Die „Strafrechtstheorien“, die in reichster Fülle die
	        
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