Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

XI RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft. 
liche Gesellschaftsverfassung her, das Reich der freien Konkurrenz, der 
Freizügigkeit, der Gleichberechtigung der Warenbesitzer. Und dies sei 
die wahrhaft wissenschaftliche Erklärung der französischen Revolution. 
Ökonomische Bei der sozialen Produktion bilden sich „ökonomische Phänomene“. 
Phänomene. Sje entsprechen im sozialen Leben dem, was im Raume die äußeren Er- 
scheinungen sind. Sie, die sozialwirtschaftlichen Erscheinungen, sind, 
nach dem sozialen Materialismus, Naturgebilde. Sie entstehen, bewegen 
und verändern sich und gehen unter, alles in naturwissenschaftlich zu er- 
forschenden Prozessen. Dahin würde das Schwanken der Preise der 
Waren, wie der Löhne der Arbeiter zählen; das Herunterkommen des 
Handwerks, das Aufsteigen des Großbetriebes in den sozialen Einheiten 
der verschiedenen Produktions- und Umsatzorganisationen, die Notlage 
der Landwirtschaft und die Verschuldung des ländlichen Grundbesitzes, das 
Anschwellen des Proletariates, die industrielle Reservearmee usf, In ihrer 
Gesamtheit bilden die ökonomischen Phänomene die Materie des sozialen 
Daseins der Menschen; in ihrem Leben und Vergehen stellen sich deren Be- 
wegungen dar. Und da nach der geschilderten Grundauffassung es im 
letzten Grunde überall auf die Art sozialer Wirtschaft ankommt, so könne 
eine wissenschaftliche Erforschung des sozialen Lebens in sich nur auf 
der naturgesetzlichen Betrachtung von ökonomischen Phänomenen beruhen, 
wobei stets der entwicklungsgeschichtliche Standpunkt beizubehalten Sei. 
Wir zeigten vorhin schon in Beispielen, wie damit eine allgemeine 
Methode für die Aufgaben der Geschichtschreibung aufgestellt ist. Die 
Anhänger der materialistischen Geschichtsauffassung haben denn auch seit 
längerem ihr Augenmerk eifrig darauf gerichtet, die Erforschung und 
Darstellung der sozialen Geschichte unter dem Gesichtspunkte durch- 
zuführen, daß die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Änderungen 
in der Ökonomie der betreffenden Periode zu suchen seien. Dabei ver- 
Ideen als Kennt diese Lehre durchaus nicht die maßgebliche Bedeutung der „Ideen“ 
ech IM weitesten Sinne des Wortes. Wenn sie sich in bewußten Gegensatz 
zu einer sog. „Ideologie“ stellt, so meint sie damit eine Ansicht, welche 
die menschlichen Vorstellungen über gut und böse, gerecht und schlecht 
aus einer zweiten Welt her in einer zweiten und abgesonderten Kausal- 
reihe entstehen läßt. Dem gegenüber leugnet die materialistische Ge- 
schichtsauffassung zwar keineswegs die Tatsache, daß ideale Ziele in 
menschlichen Auffassungen und Bestrebungen oft genug die nächsten 
Gründe für die historisch vorliegenden Rechtsänderungen abgegeben 
haben und immer abgeben werden. Aber sie meint, daß die gemeinsamen 
Geisteserscheinungen in der Menschengeschichte nichts als widergespiegelte 
Abbilder der wirtschaftlichen Verhältnisse bedeuten; es seien Reflex- 
wirkungen der ökonomischen Phänomene. Die Auffassungen darüber, was 
erlaubt oder was unrecht sei, fänden sich bei einem Jäger- oder einem 
nomadisierenden Hirtenvolke in anderer Weise, als sie der Bauer auf ab- 
gegrenztem Eigentum hegt; anders seien sie bei dem Großkaufmann als
	        
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