Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

240 WILHELM KAHL: Kirchenrecht. 
zweifacher Richtung: für das Ganze und für die Einzelnen. Sein objektiver 
Inhalt wie seine wissenschaftliche Lehre gliedern sich hiernach in das 
Recht vom Kirchenorganismus und von der Kirchenmitgliedschaft. 
Dieses betrifft Begründung, Wirkungen und Beendigung des Mitglied- 
schaftsverhältnisses. Jenes scheidet sich in das kirchliche Verfassungs- 
und Regierungsrecht, je nachdem es den Kirchenorganismus von seiten 
der Stabilität seiner Organisation, oder nach der Seite seiner Tätigkeit 
zur Erfüllung der kirchlichen Zwecke rechtlich bestimmt. 
Endlich wird der Gegenstand dieser Gemeinschaftsordnung und 
damit der Begriff des Kirchenrechts abschließend differenziert durch die 
Tatsache der Eingliederung der Kirchen in den Staat. Dadurch entsteht 
ein doppelter Normenkreis. Ein solcher, welcher, auf der autonomen 
rechtsbildenden Tätigkeit der Kirchen allein beruhend, nur deren innere 
Gemeinschaftsverhältnisse zum Gegenstande hat und daher allein auch 
mit kirchlichem Rechtszwang und Rechtsschutz sich durchzusetzen vermag. 
Daneben ein solcher, welcher vom Staate ausgeht und daher allein auch 
unter die Garantien seiner Rechtsverwirklichung tritt. Dahin entfällt not- 
wendig ein Dreifaches. Die Privatrechtsordnung in der Kirche, durch 
welche deren Stellung als Vermögensrechtssubjekt geregelt wird. Ihre 
Verhältnisbestimmung zum Staat, d.h. Art und Maß ihrer rechtlichen 
Freiheit und Unterordnung im Staat. Zuletzt das Rechtsverhältnis der 
Kirchen untereinander. Die beiden letzteren Gruppen von Rechts- 
regeln werden gemeinhin unter der Bezeichnung „Staatskirchenrecht“ 
zusammengefaßt. 
Für die nachfolgende Darstellung ist um ihres besonderen Zweckes 
willen der Aufbau in der Art gewählt, daß er mit der internen Ordnung 
des Kirchenorganismus selbst, d.i. Kirchenverfassung und Regierung be- 
ginnt, demnächst auf die, die kirchlichen und staatlichen Kreise durch- 
dringenden Rechtsverhältnisse der einzelnen Kirchenglieder und der 
Kirchengesellschaften untereinander sich erweitert, und endlich mit der 
das Ganze umspannenden Verhältnisordnung von Kirchen und Staat schließt. 
Quellen, Die Quellen des Kirchenrechts sind zunächst solche, welche es der 
Art nach mit allem Rechte weltlichen Ursprungs teilt: Gewohnheit und 
Gemeinsames. Gesetz. Das Gesetzesrecht beherrscht weit überwiegend die Gegenwart. 
Durch seine reiche Entwickelung hat sich das Sachgebiet der in der 
bloßen Übung der Kirchenglieder unmittelbar sich äußernden und be- 
hauptenden Produktivität des rechtlichen Gemeinschaftsgeistes erheblich 
eingeengt. Das Gewohnheitsrecht führt zumeist nur noch ein bescheidenes 
Dasein in der Beschränkung auf einzelne Rechtsverhältnisse oder im 
Kreise kleinerer kirchlicher Verbände. Das Gesetzesrecht seinerseits fließt 
teils aus kirchlicher, teils aus staatlicher Quelle. 
Eine gemeinsame kirchengesetzliche, aus der vorreformatorischen 
Zeit übernommene, daher interkonfessionelle Rechtsquelle ist das 
Corpus Juris Canonici, dessen Hauptteil die in der Mitte der Rechts-
	        
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