Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

XVI RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft. 
denn wenn der Gebrauch des Rechtes als solches nicht allgemein und 
für sich als berechtigt begründet werden kann, so hat es ja auch keinen 
Sinn, über diese oder jene besondere Anwendung des Rechtsbegriffes 
und Rechtszwanges sich weiter zu bemühen. Und doch ist es das Ziel der 
richtigen Ausgestaltung des überlieferten Rechtsinhaltes, worauf sich 
alle Aufgaben dieses Zusammenhanges zuspitzen, und deren bewußte Ver- 
folgung alles rechtliche Wollen krönt. 
Nun stellen sich, wie in unserer Einleitung hervorgehoben wurde, die 
Erörterungen über das Wesen „des“ Rechtes notwendig der Betrachtung 
von Bestimmungen „eines besonderen“ Rechtes gegenüber. Sie wollen 
gerade von dem besonderen Inhalte einer einzelnen, gegebenen Rechts- 
ordnung unabhängig sein und eine all gemeine Einsicht geben, die für 
alles Recht unbedingt gilt. Wie beschaffen kann nun eine solche 
Einsicht sein? Wir antworten: Sie ist nur möglich in dem Sinne einer 
Ferm md Stefiformalen Methode. Es ist‘die allgemeine Art und Weise, den 
N eeaQiu, mannigfaltigen, geschichtlich bedingten und stetig wechselnden Stoff der 
sozialen Regelungen zu ordnen, die wir nun klarstellen wollen. Ohne ein 
derartiges einheitliches Verfahren würde aller historische Rechtsstoff ein 
wildes Gewirr darstellen, von dem wir noch nicht einmal mit Grund sagen 
könnten, daß es ein „rechtlicher“ Stoff sei, wenn nicht eine grundlegende 
Methode da wäre, soziale Regelung in gleichmäßiger formaler Weise 
zusammenzufassen und zu begreifen, — über den aber auch niemand be- 
gründet ein billigendes oder verwerfendes Urteil fällen dürfte, es sei denn 
nach einer allgemeingültigen formalen Art des Abwägens und Richtens. 
Wenn also unser Thema lautet: Wesen des Rechtes und der Rechts- 
wissenschaft, — so erinnere man sich, daß das „Wesen“ eines Dinges 
„die Einheit seiner bleibenden formalen Bedingungen“ bedeutet, und 
daß „Wissenschaft“ das Bewußtsein ist, das auf Einheit geht und in 
der Umformung zu ihr sich vollendet. 
Und umgekehrt: Sobald auch nur die leiseste Spur von dem be- 
dingten Stoffe eines besonderen rechtlichen Wollens in einer gewissen 
Darstellung und Lehre enthalten ist, SO ist die letztere nicht absolut 
gültig. Sie bietet notgedrungen einen dem Wechsel unterworfenen Inhalt 
und kann in dieser Eigenschaft als wesentlicher Bestandteil einer reinen 
Rechtslehre keineswegs auftreten. Nur von den formalen Bedin- 
gungen möglicher Vereinheitlichung vermag es eine Lehre exakten 
Charakters zu geben, die mit Grund den Anspruch unbedingter Geltung 
erheben darf: In aller Betrachtung materialer Besonderheiten wird 
dagegen genau so viel Wissenschaft gegeben sein, als sie jenen Formen 
in bewußter Einsicht mit Erfolg zu entsprechen imstande ist. 
Diese Problemstellung, die als oberstes hier zu verfolgendes Ziel die 
Erforschung und Klärung der grundlegenden Methode rechtswissen- 
schaftlicher Einsicht entrollt, unterscheidet sich danach grundsätzlich von 
anderen Bestrebungen, an deren letztem Ende immer noch Ergebnisse
	        
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