Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

260 WILHELM KAHL: Kirchenrecht. 
Der harte Zusammenstoß der hierin sich ausschließenden Ansprüche der 
Konfessionen erforderte das vermittelnde Eingreifen der staatlichen Schutz- 
und Aufsichtsgewalt. Schon vor Eintritt des neuen bürgerlichen Rechtes 
gab es neben den sog. gemeinrechtlichen Gebieten mit unbeschränkt freiem 
elterlichem Bestimmungsrecht nicht weniger als 21 partikuläre Rechts- 
gebiete mit den verschiedenartigsten Gesetzen und Prinzipien über die 
religiöse Erziehung von Kindern aus gemischter Ehe. Auf das Deutsche 
Bürgerliche Gesetzbuch war daher die Hoffnung der Rechtseinheit auch 
hier gerichtet. Statt ihrer nahm A. 134 d. Einf.-G. die Bestimmung auf: 
„Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über die religiöse 
Erziehung der Kinder.“ Man begründete den Vorbehalt mit der „vor- 
wiegenden“ Zugehörigkeit dieser Vorschriften zum „öffentlichen Recht, 
nämlich dem interkonfessionellen Staatskirchenrecht“. Sein realer Grund 
lag in dem Streit und der Eifersucht der Konfessionen. In Wahrheit 
handelt es sich „vorwiegend“ um eine privatrechtliche Frage, um das 
Erziehungsrecht. Dieses verändert dadurch, daß es die Religion zum 
Gegenstande hat, nicht seine rechtliche Natur. Die zersetzenden und ewig 
gärenden öffentlich rechtlichen Elemente sind erst historisch und politisch 
eingemischt. Die Wirkung des erwähnten Vorbehaltes für die Gegenwart 
ist nun die, daß durch Revision der früheren oder Hinzutritt neuer Landes- 
gesetze neben wenigen gemeinrechtlichen Gebieten im älteren Sinne 
30 Partikularrechtsgebiete das Bild eines sehr verschiedenartigen Rechts- 
zustandes über die religiöse Erziehung von Kindern aus gemischten Ehen 
abwerfen. Zwei Grundprinzipien greifen in dieser bunten Gesetzgebung 
durcheinander: das des freien Bestimmungsrechts und das der gesetz- 
lichen Anweisung. Dabei haben diese Prinzipien teils exklusiven 
Charakter, teils sind sie in eventuelle Verbindung gesetzt. Das erstgenannte 
Grundprinzip hat wiederum eine dreifache Anwendung gefunden. Zunächst 
in dem primären Rechte elterlicher Vertragsfreiheit (z. B. Bayern, 
Württemberg, Sachsen, Mecklenburg-Schwerin, Lippe, Waldeck, Frank- 
furt a. M., Hamburg); über Zeitpunkt und Form der Verträge gehen dabei 
die gesetzlichen Bestimmungen auseinander. Zweitens in einer von der 
Vertragsform unterschiedenen Zulassung der freien Einigung der Eltern 
(so z. B. im Preuß. Landrechtsgebiet, in Nassau, Gotha und Schleswig). 
Drittens in. dem Rechte einseitiger Verfügung des Vaters (So z. B. 
Hannover, Kurhessen, Holstein, Baden, Hessen, Braunschweig, Lübeck) 
oder der Mutter (so event. in Holstein) oder des nach bürgerlichem Recht 
jeweils erziehungsberechtigten Teiles (so schon länger in Oldenburg und 
in den meisten neueren auf Grund des B.G.B. erlassenen Gesetzen, wie in 
Altenburg, Schwarzburg-Rudolstadt, S.-Meiningen, Reuß). Das andere 
Grundprinzip hat eine zweifache positivrechtliche Ausprägung erhalten. 
Zuerst in der schon einer weitverbreiteten Observanz im älteren deutschen 
Reich entsprechenden konfessionellen Teilung der Kinder nach dem 
Geschlecht der Eltern (event. in Bayern, Mecklenburg-Schwerin, Gotha).
	        
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