Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

262 WILHELM KAHL: Kirchenrecht: 
ordentlichen Leitung der Kirche ausschließt und nach dem geschicht- 
lichen Entwickelungsgange lediglich und äußerstenfalls zur Teilnahme an 
Akten der kirchlichen Vermögensverwaltung zugelassen hat. Anderseits 
ist in evangelischen Kirchenkreisen eine Bewegung eingeleitet, welche die 
Übertragung. des kirchlichen Bürgerrechts auch auf Frauen mindestens 
im Umfang der örtlichen Gemeinde-Verfassung und -Verwaltung erstrebt. 
Diese Bewegung ist in hohem Grade beachtsam und kann, wenn maßvoll 
geleitet und zu richtigem Ende geführt, dem. evangelischen Gemeindeleben 
wertvolle Kräfte der Zukunft sichern. Jedenfalls steht mit apostolischen 
Ordnungen und Einrichtungen die aktive Beteiligung der Frauen auch am 
Rechtsleben der Kirchengemeinde nicht in Widerspruch. 
Einfluß der Die Rechte der Kirchenglieder sind endlich auch von dem Verhältnis 
| wre der gleichzeitigen Staatsangehörigkeit nicht unberührt. Zwar äußert 
der Kirchen- einerseits in den Beziehungen zum staatlichen Leben selbst die Tatsache 
glieder. der Kirchenmitgliedschaft einen grundsätzlichen Einfluß insoweit nicht 
mehr, als die deutsche Reichsgesetzgebung die Unabhängigkeit der bürger- 
lichen und staatsbürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntnis gewährt, 
und hiernach nicht nur keinem Reichsangehörigen um des Glaubens- 
bekenntnisses willen der Aufenthalt, die Niederlassung, der Gewerbebetrieb 
oder der Erwerb von Grundeigentum verweigert, sondern auch nicht die 
Befähigung zur Teilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung sowie 
zur Bekleidung öffentlicher Ämter versagt werden darf. (Freizügigkeits-G. 
v. ı. XL 1867 vb. RG. v. 3. VIL 1869 über die Gleichberechtigung der 
Konfessionen in bürgerlicher und sstaatsbürgerlicher Beziehung.) Ander- 
seits dagegen reflektiert die Tatsache der Staatsangehörigkeit darin, daß 
die Kirchenglieder den besonderen Schutz des Staates gegen Mißbrauch 
der geistlichen Amtsgewalt in Anspruch zu nehmen haben. Der ge- 
schichtlich im Systeme der gallikanischen Freiheiten, daher auf französi- 
schem Boden wurzelnde, seit dem 16. Jahrhundert auch in der Praxis des 
älteren deutschen Reiches anerkannte „recursus ab abusu“ hat freilich im 
gegenwärtigen Landesrecht ein ungleiches Maß von wirksamer Durch- 
bildung‘ erfahren. Er besteht verfassungsmäßig ausgeprägt in Bayern, 
Sachsen, Hessen und anderen Staaten. In Preußen ist der Rechtszustand 
nicht befriedigend. Ein recursus ab abusu kann hier, nachdem die be- 
sonderen Bestimmungen der Maigesetze von 1873 zum Schutze gegen 
Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt für alle Kirchenglieder und die 
Kirchenbeamten im besonderen durch die Novellengesetzgebung von 1886 
und 1887 wieder zu Fall gebracht waren, höchstens in der abgeblaßten 
Form einer allgemeinen Verwaltungsbeschwerde geltend zu machen sein. 
Pflichten Auch die Pflichten der Kirchenglieder stehen unter der doppelten 
0 Einwirkung der Kirchenmitgliedschaft und der Staatsangehörigkeit. Dabei 
scheiden natürlich aus dem gegenwärtigen Zusammenhange diejenigen 
Verpflichtungen aus, welche, auf einem besonderen kirchlichen Amts- 
verhältnis beruhend, ihren Inhalt durch den konkreten kirchlichen Dienst
	        
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