274 WILHELM KaAHL: Kirchenrecht.
seits entweder in der Form des Gesetzes oder der administrativen Be-
willigung zu erfolgen hat. Das letztere ist die Regel. So ist beispiels-
weise in Bayern königliche Genehmigung erforderlich. In der staatsrecht-
Staatsrechtliche lichen Klassifizierung der bestehenden Religionsgesellschaften treten, un-
Ne ehetoen geachtet außerordentlicher Mannigfaltigkeiten des partikulären Rechtes in
gesellschaften. den Einzelheiten, doch gewisse juristische Grundtypen gleichmäßig auf.
Es sind zu unterscheiden die Kirchen mit öffentlich-rechtlicher Korporations-
qualität, Religionsgesellschaften mit privatrechtlicher Rechtsfähigkeit und
bloße religiöse Vereine. Die rechtliche Stellung von öffentlichen
Korporationen haben die evangelischen (lutherischen, reformierten,
unierten) und ausnahmslos die römisch-katholischen Landeskirchen, in den
meisten deutschen Staaten (nicht in Bayern) auch die altkatholischen Ge-
meinden. Durch welche Merkmale sich die Eigenschaft einer öffentlichen
Korporation bestimme, ist freilich eine ungemein schwierige und bestrittene
Frage. In Anwendung des Begriffs auf die Kirchen lassen sich aber
jedenfalls übereinstimmend als charakteristische Grundmerkmale bezeichnen:
das staatlich anerkannte Recht auf Ausübung einer obrigkeitlichen Gewalt
über die Kirchenglieder, die Ausstattung mit besonderen Privilegien und
dementsprechend ein geordnetes staatliches Oberaufsichtsrecht. Zur Gruppe
der Religionsgesellschaften mit privatrechtlicher Rechtsfähigkeit ge-
hören allgemein die jüdischen Synagogengemeinden und von christlichen
Religionsgesellschaften z. B. in Preußen Herrnhuter, Altlutheraner, Menno-
niten, Baptisten, in Bayern auch die griechisch-katholische Gemeinde in
München und seit 1890 die Altkatholiken. Die rechtliche Stellung dieser
Religionsgesellschaften beruht zumeist auf besonderen Konzessionsurkunden,
in denen das Maß ihrer Berechtigung näher festgestellt ist. Allgemein ist
nur der Besitz der juristischen Persönlichkeit im Gebiete des Privatrechts.
Der Wert dieser Eigenschaft liegt aber nicht allein in der damit ge-
gebenen Vermögensfähigkeit, sondern ist nach der gegenwärtigen Lage
der Reichs- und Landesgesetzgebung noch dadurch gesteigert, daß mit
dem Besitz der Korporationsqualität von selbst gewisse Vorrechte in Be-
ziehung auf Strafrecht, Heeres- und Steuerwesen verbunden sind. Die
dritte Gruppe bilden die religiösen Vereine. Bayern kennt diese
Kategorie von Religionsgesellschaften nicht. Wohl aber Preußen. Ihre
Rechtsstellung bemißt sich hier nach dem Vereinsgesetz vom ı1ı. IIL 1850
und älteren Vorschriften des Landrechts. Fehlt ihnen zwar die juristische
Persönlichkeit, so ist ihnen doch in Preußen durch Art. 12 der Verfassung
allgemein das Recht der öffentlichen Religionsübung zugesichert. Die
anderwärts noch immer bestehende, im älteren Reichsrecht wurzelnde
Unterscheidung von exercitium religionis publicum und privatum besteht
also hier nicht, während in Bayern jede Religionsgesellschaft, welche nicht
ausdrücklich „als öffentliche aufgenommen“ ist, nur „die freie Ausübung
des Privatgottesdienses“ besitzt. Damit ist ausgedrückt, daß dem Kultus
die nach Sitte und Recht gebildeten Zeichen oder Wirkungen der Öffent-