Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

Literatur. 
Eine selbständige, nach Stoff und Methode von der Theologie abgezweigte Literatur 
des Kirchenrechts beginnt nicht vor der Mitte des ı2. Jahrhunderts. Von da bis in das 
16. Jahrhundert blieben überwiegend nur die in das Corpus Juris Canonici aufgenommenen 
Rechtssammlungen die Grundlage dieser schriftstellerischen Tätigkeit. Universitäten und 
geistliche Orden stellten ihre Führer. Der kosmopolitische Charakter des Kirchenwesens 
zog nach und nach alle Kulturnationen des Abendlandes zur Mitarbeit heran. Hervorragend 
beteiligt waren Italien, Deutschland, Frankreich, Spanien, England. Die nachfolgende drei 
Jahrhunderte umspannende Entwickelungsperiode der kirchenrechtlichen Literatur wird im 
16. Jahrhundert entscheidend eingeleitet durch Reformation und tridentinisches Konzil. Jene 
begründet eine selbständige Wissenschaft und Literatur des evangelischen Kirchenrechts. 
Diese bedingt durch die tiefgreifende Veränderung des mittelalterlichen Rechtszustandes eine 
neue wissenschaftliche Behandlung auch des katholischen Kirchenrechts. Die geistige 
Führung erhält bis tief in das 17. Jahrhundert Frankreich, um sie dann endgültig an Deutsch- 
land abzugeben. Die in stetigem Aufblühen begriffenen inländischen Hochschulen wurden 
zunächst auch hier der fast ausschließliche Nährboden der wissenschaftlichen Arbeit und 
literarischen Leistungen im Gebiete des Kirchenrechts. Dabei blieben die Kreise des kon- 
fessionellen Kirchenrechts zumeist noch streng und vorwiegend polemisch gegeneinander 
abgeschlossen. Die besonderen Probleme innerhalb des evangelischen Kirchenrechts bildeten 
das Verhältnis zum kanonischen Recht und die Kirchenverfassung, innerhalb der katholischen 
Kirche die Vereinigung des vor- und nachtridentinischen Rechtes sowie die Auseinandersetzung 
mit der unter dem Namen „Febronianismus“ aufgetretenen freieren, nach Reformen drängen- 
den episkopalistischen Richtung. Im 19. Jahrhundert erhält die deutsche kirchenrechtliche 
Literatur ihre Richtung und Höhenlage durch die historische Rechtsschule. Vollständige 
Beschaffung des geschichtlichen Materials, streng kritische Behandlung der Quellen, exakte 
dogmengeschichtliche Erforschung der einzelnen Rechtsinstitute, endlich objektiv wissen- 
schaftliche Bearbeitung des konfessionellen Kirchenrechts waren die Forderungen, mit welchen 
die deutsche historische Schule auch an die Verbesserung der Kirchenrechtswissenschaft 
herantrat. KARL FRIEDRICH EICHHORN und AEMILIUS LUDWIG RICHTER wurden ihre bahn- 
brechenden Meister. Der letztere hat die jetzt in Deutschland herrschende Schule begründet. 
Seitdem hat hier die Kirchenrechtswissenschaft wieder einen hohen Aufschwung genommen. 
Neben der durch die reiche Frucht stiller Gelehrtenarbeit ihr gewordenen Förderung ver- 
dankt sie dies zugleich dem Umstand, daß durch die Zeitereignisse selbst die Probleme des 
Kirchenrechts und der Kirchenpolitik mit in den Vordergrund des öffentlichen Interesses ge- 
schoben wurden. Ein außerordentlicher Gewinn für sie wurde ferner die Handreichung, 
welche ihr gleichzeitig durch die Meister der politischen Geschichtschreibung, durch die 
kirchengeschichtlichen Forschungen der Theologen, durch die bereitwillige Mitarbeit der 
juristischen Praxis und durch die Verhandlungen der Parlamente über Akte der Staatskirchen- 
gesetzgebung dargeboten ward. Zahlreiche Kräfte wurden auf diese Weise auch literarisch 
in den Dienst der Kirchenrechtswissenschaft gezogen. Den zahlreichen hochverdienten 
Schriftstellern gerecht zu werden, ist hier unmöglich. Aus der unermeßlichen Literatur hebe 
ich nur zur weiteren Orientierung hervor: 
K. FR. EICHHORN, Grundsätze des KRs. der kath. und der evang. Religionspartei in 
Deutschland, 2 Bde., 1831/33. AEM. LUDW. RICHTER, Lb. des kath. und evang. KRs., ı. Aufl. 
1842, 8. Aufl. 1886, h. v. DOVE und KAHL. P. HInscHıvus, Das KR. der Katholiken und 
Protestanten in Deutschland, Bd. ı bis 6 und 7!, 1869—1897, enth. das System des kath. KRs. 
(unvoll.). E. FRIEDBERG, Lb, des kath. und evang. KRs., 1. Aufl. 1879, 5. Aufl. 1903. V. SCHULTE, 
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