Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

204 PAUL LABAND: Staatsrecht. 
lische, französische, deutsche Parlamentarismus sind trotz ihrer äußerlichen 
Gleichartigkeit ihrem wirklichen Wesen nach verschiedene Rechtsbildungen. 
Wer die deutsche Reichsverfassung aus dem amerikanischen Bundesrecht 
oder dieses aus jener erläutern will, verwirrt die Erkenntnis beider. Ein 
gemeinsames Staatsrecht der Völker gibt es noch nicht und die gelegent- 
liche Anführung einzelner Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen 
den Verfassungseinrichtungen ist in der Regel von sehr problematischem 
Wert. Jede dogmatische Darstellung eines positiven Rechtes muß sich 
auf einen bestimmten Staat und einen gegebenen Zeitpunkt beschränken; 
in dieser Erwägung beschränkt sich auch die hier folgende kurze Dar- 
stellung auf das deutsche Staatsrecht. 
Reichs- und Das gegenwärtige Staatsrecht Deutschlands hat infolge der geschicht- 
era lichen Entwickelung der politischen Verhältnisse eine doppelte Gestaltung 
aufzuweisen. Die aus den feudalen Verfassungszuständen hervorgegangenen 
territorialen Herrschaften sind weder wie in den anderen Großstaaten 
Europas zu einem, ihre Hoheitsrechte  absorbierenden Einheitsstaat zu- 
sammengeschmolzen, noch als selbständige und voneinander unabhängige 
Staatswesen auseinandergefallen; sie sind unter Wahrung ihrer staatlichen 
Individualität zu einem Staatswesen höherer Ordnung miteinander ver- 
bunden; sie bilden einen Bundesstaat, welcher die einzelnen Staaten über- 
wölbt und zusammenfaßt; sie sind die Glieder einer verfassungsmäßig 
organisierten staatlichen Gemeinschaft, des Deutschen Reiches. 
Es gibt mithin überall in Deutschland ein Reichsstaatsrecht und ein 
Landesstaatsrecht. Beide haben eine lange und verwickelte Vorgeschichte, 
deren verschiedene Phasen gegenseitig aufeinander einwirkten und deren 
Spuren noch im Recht der Gegenwart sichtbar sind. Von erheblicher 
praktischer Bedeutung für die heutigen Rechtszustände ist aber erst die 
Entwickelung, welche mit dem Anfang des 19. Jahrhunderts, dem Zusammen- 
bruch des Römischen Reiches deutscher Nation und den Einwirkungen 
der französischen Revolution und der napoleonischen Vorherrschaft beginnt. 
Die Zerstörung des Reiches, dieser tiefste Stand der staatlichen Zu- 
sammenfassung der deutschen Nation war zugleich die Grundsteinlegung 
für den Wiederaufbau einer neuen Reichsverfassung. Zunächst freilich 
war die Auflösung des Reiches die vollkommene Verwirklichung des End- 
ziels der partikularistischen und zentrifugalen Tendenzen, welche die Staats- 
gewalt des Reiches zersetzt hatten. Die Staaten, die aus der Katastrophe 
hervorgingen, waren im staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Sinne 
souverän und nur zu einem Landfriedensbund vereinigt. 
Aber die Vernichtung des Reiches beseitigte zugleich zwei der größten 
Übelstände, nämlich die geistlichen Fürstentümer mit ihrer unerträglichen 
Mißwirtschaft und die Zersplitterung des Reiches in unzählige kleine Terri- 
torien, die nur nach den privatwirtschaftlichen Grundsätzen einer Guts- 
herrschaft verwaltet werden konnten, zur Erfüllung staatlicher Aufgaben, 
wie sie die neuere Zeit stellte, dagegen untauglich waren. Wenngleich
	        
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