E. Das Landesstaatsrecht. I. Allgemeiner Charakter der Staatsverfassungen. 325
Die Einführung dieser Verfassungsform erfolgte in den süddeutschen
Staaten (Bayern, Württemberg, Baden und Hessen) bald nach Gründung
des Deutschen Bundes in den Jahren 1818—1820; eine zweite Gruppe
folgte unter den Einwirkungen der französischen Julirevolution in der Zeit
von 1831—1833 (Sachsen, Kurhessen, Braunschweig, Hannover); endlich
Preußen nebst einigen anderen Staaten 1848 und in den nächstfolgenden
Jahren. Ale diese Verfassungen beruhen auf dem monarchischen
Prinzip im Gegensatz zu dem auf der Volkssouveränität beruhenden
Parlamentarismus, d.h. die gesamte Staatsgewalt ist in dem Oberhaupt
des Staates vereinigt geblieben; der Landesherr ist der Träger der einheit-
lichen Staatsgewalt; alle Rechte, welche ihm vor der Verfassung Zu-
gestanden haben, sind ihm insoweit verblieben, als ihre Ausübung nicht
durch die Verfassung und Landesgesetzgebung beschränkt worden ist. Der
Landesherr hat nicht sein Monarchenrecht erst durch die Verfassung er-
halten, sondern er hat vielmehr die Verfassung. dem Lande verliehen und
sich dadurch selbst beschränkt. Durch die Entwickelung des modernen
Staates zu einem organisierten Gemeinwesen, zu einer Person des öffent-
lichen Rechtes hat sich aber das Verhältnis des Monarchen zum Staat
allerdings wesentlich verändert; er ist nicht mehr wie im Sog. patrimonialen
oder feudalen Staat der Eigentümer oder Lehnsbesitzer der Territorien,
Herrschaften, Schlösser und Güter, aus denen sich das landesherrliche
Gebiet zusammensetzte; er steht nicht mehr über dem Staate als der
Herr, dem Land und Leute gehörten nach Art eines privatrechtlichen Be-
sitzrechts (dominium eminens), sondern er steht innerhalb des Staates und
seiner Rechtsordnung; er ist das Haupt des Staates, ein Organ des staat-
lichen Gemeinwesens. Diese Veränderung ist aber nicht die Folge der
Einführung der konstitutionellen Verfassungsform und durch sie nicht
bedingt, sondern hat sich schon viel früher im absoluten Staat vollzogen
oder vorbereitet; besonders in Preußen.
Dem Landesherrn ist aber zur Seite gestellt ein Landtag, dessen
historische Wurzeln weit hinauf reichen in längst vergangene Zeiten, der
aber ebenfalls seinen rechtlichen Charakter geändert hat und aus einer
Einrichtung zur Geltendmachung der subjektiven Rechte der privilegierten
Stände, der Kirchen, Klöster, Grundherren, adligen Gutsbesitzer und
Kommunen zu einem Organ des staatlichen Gemeinwesens, zu einer Volks-
vertretung sich umgewandelt hat. Unter der Einführung der konstitutionellen
Verfassungsform verstand man vorzugsweise die Umbildung der alten
Stände in eine Volksvertretung und die Regelung ihrer Zusammensetzung
und ihrer Befugnisse. Die Volksvertretung ist nicht Träger der Staats-
gewalt; sie hat auch keinen Anteil an derselben; sie hat keine obrigkeit-
lichen Herrschaftsrechte über. die Staatsangehörigen; sie kann den staat-
lichen Willen nicht zur Ausführung bringen; aber sie beschränkt den
Landesherrn in der Ausübung der Regierungsrechte, indem er an ihre
Mitwirkung, Bewilligung und Kontrolle gebunden ist.