B. Die Verwaltungsrechtspflege. II. In den außerdeutschen Ländern. 381
Ihr Wesen ist das von zentralen Inspektionen ohne Exekutivgewalt, welche
die ihnen unterstellten Ämter überwachen, anleiten, beraten und unter-
stützen, welche Staatszuschüsse bewilligen und versagen können, aber
nichts zu befehlen und zu vollstrecken haben.
4. Die Verwaltungsrechtspflege in Italien. Italien hat zwei 4. Italien.
„Verwaltungsgerichtsgesetze“: die legge sul contenzioso amministrativo
vom 20. März 1865 und die legge sull’ ordinamento della giustizia
amministrativa vom ı. Mai 1890. Das erste Gesetz schafft die bis dahin
bestehende, den französischen Einrichtungen (Präfekturräte und Staatsrat)
nachgebildete Verwaltungsrechtspflege ab, das zweite stellt sie in eigen-
artiger Zuständigkeit und in neuen Formen wieder her. Das Gesetz vom
20. März 1865 überträgt allen Rechtsschutz in Verwaltungssachen den
ordentlichen Gerichten, welche überall, und zwar im gewöhnlichen Instanzen-
zuge, zuständig sein sollen, wo die Verletzung eines bürgerlichen oder
politischen Individualrechts unter Streit steht, einerlei, ob und inwieweit
die Verwaltung bei der Streitfrage interessiert ist und einerlei, ob die
Verletzung einer Privatperson oder den Staatsorganen schuld gegeben wird.
Man sieht: die oben (vgl. S. 354) mit dem Schlagworte „Justizstaat“ be-
zeichnete Lehre, welche alle Verwaltungsrechtspflege als einen Einbruch
in die Domäne des ordentlichen Richters, als verwerfliche Sonder- und
Ausnahmegerichtsbarkeit betrachtet, ist zu derselben Zeit, als Gneist ihr
in Deutschland eine entscheidende Niederlage beibrachte, in Italien zum
Siege gelangt. Dieser Sieg ist insofern auch ein dauernder, als das
Gesetz von 1865 nicht etwa später aufgehoben worden ist, sondern heute
noch gilt, so daß die Verwaltung vor den ordentlichen Gerichten, ohne
daß ihr ein privilegierter Gerichtsstand vor dem obersten Gerichtshof (wie
in England) eingeräumt ist, Recht zu geben hat in allen Fällen, wo ihre
Akte als gesetzwidrige Eingriffe in bürgerliche Rechte, etwa in das
Eigentumsrecht, von der Partei in forum deduziert werden. Jener Sieg
ist dann sogar noch erweitert worden durch das Gesetz vom 3ı. März 1877,
welches die Entscheidung der Kompetenzkonflikte zwischen den Gerichten
und Verwaltungsbehörden von der höchsten Verwaltungs- auf die höchste
Justizstelle, vom Staatsrat auf den (römischen) Kassationshof übertrug,
so daß seitdem die Justiz in allen Streitsachen des Verwaltungsrechts
souverän auch über ihre eigene Kompetenz, über die Vorfrage der Zu-
lässigkeit des ordentlichen Rechtsweges zu befinden hat.
Die neuere Gesetzgebung, abgeschlossen durch das oben erwähnte Ordentliche Ge-
Gesetz vom ı. Mai 1890, bedeutet nun nicht etwa eine Wiedereinschränkung N OiFaRO eGHEEE
des in so auffallend weitem Maße zugelassenen ordentlichen Rechtsweges. in Italien.
Sie hat vielmehr unter voller Aufrechterhaltung der bestehenden Justiz-
zuständigkeit, insbesondere des Gesetzes von 1865, eine neue Organisation
innerhalb des Rahmens der Verwaltung geschaffen, welche als ein zweiter
großer Regulator der Verwaltung unabhängig und selbständig neben
den ersten, neben die ordentlichen Gerichte, gestellt ist und deren Zu-