384 GERHARD ANSCHÜTZ: Verwaltungsrecht I (Justiz und Verwaltung).
Wesentlich der Vergangenheit gehört ein zweiter Modus an: Ent-
scheidung der Kompetenzkönflikte durch das Staatsob erhaupt, in Ein-
herrschaften also durch den Monarchen, sei es mit oder ohne obligatorische
Begutachtung des Streitfalles durch den Staatsrat oder den Ministerrat
oder die beteiligten Ressortminister. So das französische Recht 1800—1848
und 1852—1872 (Staatsoberhaupt auf Grund eines Gutachtens des Staats-
rats), Preußen 1828—1847 (Königliche Entscheidung auf Bericht des Staats-
ministeriums), Bayern vor 1850, Württemberg 1819—1879 (Königliche Ent-
scheidung nach Anhörung des Staatsrats bzw. Geheimen Rates). Praktisch
nicht wesentlich verschieden von diesem System ist dasjenige, welches dem
obersten beratenden Verwaltungsorgan, dem Staatsrate, eine nicht nur
begutachtende, sondern die entscheidende Stimme beilegt: so das
italienische Recht 1865—1877 (Entscheidung der Kompetenzkonflikte
durch den Staatsrat).
Die Kompetenzgerichtsbarkeit des Staatsoberhauptes bzw. Staatsrats
bedeutet im Grunde nichts anderes, als die Entscheidung des Zuständigkeits-
streites durch einen der Streitteile selbst: die Verwaltung. Umgekehrt
übertragen manche Gesetzgebungen die Entscheidung dem anderen Teil:
der Justiz, d. h. allerdings nicht dem Prozeßgericht (vgl. oben), sondern dem
obersten Gerichtshof, So Italien auf Grund des Gesetzes vom 31. März 1877
(Kassationshof in Rom), Belgien auf Grund der Verfassung von 1831,
Art. 106 (Kassationshof); auch in den deutschen Einzelstaaten kann dies
System eingeführt werden, da nämlich Einf.-Gesetz z. G.V. &.$ 17 gestattet,
daß die Kompetenzgerichtsbarkeit auf Antrag des Einzelstaats und mit
Zustimmung des Bundesrats durch Kaiserliche Verordnung dem Reichs-
gerichte zugewiesen wird (ist geschehen für Bremen: Kaiserl. Verordn.
vom 26. September 1879).
Kompetenz- Endlich ist es ein naheliegender Gedanke, mit der Kompetenzrechts-
Gerichtshöfe. „fexe besondere Behörden zu betrauen, welche richterliche Unabhängig-
keit genießen, aber nicht lediglich mit richterlichen, sondern teils mit
solchen, teils mit Verwaltungsbeamten besetzt sind und in dieser ihrer
Formation Gewähr dafür bieten, daß die jedem der beiden Staatsdienst-
zweige eigene besondere Sachkunde und Berufserfahrung ebenmäßig zur
Geltung kommt, daß bei den Konfliktsentscheidungen nicht Einseitigkeiten
und Usurpationsbestrebungen auf der einen oder anderen Seite maßgebend
werden können, daß überhaupt der Ressortpartikularismus in jeder Gestalt
ausgeschaltet wird.
Dieses System, das System der Kompetenzgerichtshöfe, gilt in
Preußen seit der Einsetzung des Gerichtshofes zur Entscheidung der Kom-
petenzkonflikte durch das Gesetz vom 8. April 1847, in Bayern seit dem
Gesetz vom 28. Mai 1850. Frankreich hat es vorübergehend von 1848—1852
und endgültig durch das Gesetz über den Staatsrat vom 24. Mai 1872 an-
genommen. Es kann ferner in den deutschen Einzelstaaten durch die
Landesgesetzgebung eingeführt werden, wobei jedoch die durch das Reichs-