420 EDMUND BERNATZIK: Verwaltungsrecht II (Polizei und Kulturpflege).
ständen (Chartistenbewegung, Julirevolution, Februarrevolution, Pariser
Kommune usw.) gegen diesen Zustand und seine grauenvollen Folge-
erscheinungen, die hier gar nicht erörtert werden sollen, revoltierte, be-
Produktions- ginnen die Regierungen einzulenken, und neben die Produktions-
nr] förderung tritt die Sozialpolitik als zweites großes Stück der Volks-
politik.
wirtschaftspflege des 19. Jahrhunderts. Es ist ein schwieriges Problem,
diese beiden Richtungen der Wirtschaftspolitik in ein harmonisches Ver-
hältnis zueinander zu bringen. Denn es ist klar, daß bei einseitiger Ver-
folgung der einen die andere leiden und damit die internationale Konkurrenz-
fähigkeit gefährdet werden muß. Indes ist in neuester Zeit nachgewiesen
worden, daß die Abkürzung der Arbeitszeit und die Steigerung des
Arbeitslohnes bis zu einem recht erheblichen Maß durch Steigerung der
Intensität der Arbeit wett gemacht werden.
Die Produktions- Wie nun im 10. Jahrhundert die Produktionsförderung immer
x N Plchandert großzügigere Formen annimmt, wie der Staat Ackerbau, Handwerk,
Gewerbe, Bergbau, Industrie und Handel in mannigfaltiger Weise pflegt
und unterstützt, wie infolgedessen die Produktion und der Handel, der
nationale, gleichwie der internationale ins ungemessene steigen, indem
der Staat das Zollwesen reformiert, den Bau von Verkehrswegen aller
Art durch vielerlei Mittel, darunter insbesondere durch Darbietung seiner
Gewalt zugunsten der Unternehmer (Expropriation) fördert, wie der
Staat den Verkehr durch Post, Telegraph, Telephon in die feinsten Kanäle
leitet und verästelt, wie er das vom Polizeistaat niedergehaltene Assozia-
tionswesen seiner Fesseln befreit, Sparkassen, Genossenschaften, Aktien-
gesellschaften sich in großartiger Weise entfalten, wie er Maß und Ge-
wicht und Geldwesen vereinheitlicht und reformiert, das Bankwesen regelt,
den Kredit organisiert und allgemeiner zugänglich macht, wie der Staat
endlich hinsichtlich einer Reihe von diesen Dingen durch Vereinbarungen
mit anderen Staaten ein internationales Verwaltungswesen schafft, das
alles kann hier nur angedeutet, aber nicht weiter verfolgt werden.
Die Im Gegensatz zu dieser gewaltigen Pro duktionsförderung ist die
SSH Sozialpolitik der Staaten im 19. Jahrhundert vorerst noch in recht be-
zo. Jahrhunderts. Scheidenen Dimensionen geblieben, wobei wir allerdings hervorheben
müssen, daß die Kommunen, Städte und Provinzen in ihrem Bereiche sich
der Sozialpolitik der Regierungen, wenn auch zögernd anschlossen.
Werfen wir einen kurzen Blick auf das, was wir „Sozialpolitik“ nennen,
so zerfällt uns diese in drei Gruppen von Maßregeln. Die erste unter-
Sozialpolitik nimmt es, direkt die Lage der besitzlosen Klassen zu verbessern und
er tns überhaupt die wirtschaftlich schwächeren Elemente vor. Ausbeutung durch
des Proletariats. die Übermacht des Kapitals zu schützen („State interference“).
Hierher gehört eine Reihe von Maßregeln, welche bestimmt sind,
vorwiegend im Interesse der industriellen und gewerblichen Arbeiter-
schaft die sogenannte „Freiheit des Arbeitsvertrages“ zu beschränken, als:
Verbot des Trucksystemes, Ruhetag, Normalarbeitstag , Beschränkungen