B. Kulturpflege. IX. Die Volkswirtschaftspflege. 421
der Heimarbeit (Australien!), Reduzierung der Frauen- und Kinderarbeit,
Reformen des Polizeirechtes, Einführung diverser „Inspektorate“, Förderung
oder imperative Einführung der Versicherung gegen Unfall, Krankheit,
Invalidität, mit (mißglückten) Versuchen ihrer Ausdehnung auf Arbeits-
losigkeit. Im übrigen beschränkte sich der Staat darauf, seine bisherige
Feindseligkeit gegen die Selbsthilfe der Arbeiterschaft langsam und noch
immer nicht ganz aufrichtig und vorbehaltlos aufzugeben, Koalitionen,
Gewerkschaften, Konsumvereine, kollektive Arbeitsverträge, Einigungs-
ämter zu dulden, teilweise zu unterstützen. Aber im ganzen muß man
heute noch sagen, daß es schon eine relativ hohe sozialpolitische Weisheit
verrät, wenn eine Polizeibehörde in Lohnkämpfen und Streiks nicht direkt
und mit Waffengewalt für die Unternehmer Partei nimmt, wie dies noch
vor gar nicht langer Zeit allgemein üblich war.
Noch dürftiger ist es, was der Staat bisher in der F rauenfrage
geleistet hat, welche, soweit sie eine wirtschaftliche ist — und das ist ihr
wichtigstes Stück — hierher gehört. Wohl wurde in mehreren Staaten
Frauenarbeit aus dringenden Sittlichkeitsgründen oder zum Schutz der
Mutterschaft beschränkt. Man hat aber kaum noch begonnen, die volle
Tragweite der Fabrikarbeit der Mütter zu würdigen und gegen die Zer-
störung des Familienlebens durch sie Stellung zu nehmen, Sozialdemo-
kratische Autoren, wie Bebel, wollen zwar aus Gleichheitsschwärmerei
Mann und Weib in der Arbeitsorganisation ganz gleich stellen und zu
diesem Zweck die Familie durch Öffentliches Anstaltsleben ersetzen.
Allerdings ist dies ja leider im 10. Jahrhundert beim Proletariat vielfach
heute der Fall (Findelhäuser, Kindergärten, Waisenhäuser, Erziehungs-
anstalten für verwahrloste Kinder usw.). Allein schwerlich wird das
20. Jahrhundert auf diesem Wege weiter schreiten. Unzweifelhaft wird
5 die Mutterschaft allzeit der normale Beruf des Weibes bleiben. Wenn es
auch Pflicht und Aufgabe des Staates im 20. Jahrhundert sein wird, in
viel höherem Maße als bisher dem Teile des weiblichen Geschlechtes,
\ welches diesen Beruf nicht erreichen ‚kann oder will, die Möglichkeit
selbständiger Berufstätigkeit zu gewähren, so darf und wird er doch das
N Heilmittel für die in so weitem Umfange bereits erfolgte Zerstörung des
h Familienlebens nicht in der Verallgemeinerung dieser Zerstörung, sondern
y nur in. der Abschaffung der Fabrikarbeit der Mutter finden. Dadurch
1 werden Maßregeln gegen gewisse das Familienleben gleichfalls bedrohende
. Formen der Heimarbeit nicht ausgeschlossen sein. Das 20. Jahrhundert
4 wird das „Recht des Kindes auf die Familie“ (Ellen Key) anerkennen;
h es wird dem Kinde die Familie, der Familie die Mutter wiedergeben.
Ist das bisher hier Geschaffene schon dürftig genug, so ist vollends kläg-
A lich, was der Staat gegenüber der eigentlichen partie honteuse unserer Kultur,
C- gegenüber der Prostitution geleistet hat. Man hat sich im allgemeinen
3: noch nicht über den sanitätspolizeilichen Gesichtspunkt erhoben, dessen
N einseitige Betonung die Frage vom Standpunkt der besitzenden Klasse,