Literatur.
Eine Wissenschaft des Völkerrechts gibt es erst seit dem unsterblichen Buch des
Holländers HUGO DE GROOT (1583—1645): „De jure belli ac pacis libb. tres‘“ Parislis 1625,
welches in einer kaum übersehbaren Zahl von Ausgaben, Auszügen, Auflagen, Kommentaren,
Übersetzungen vorliegt. GROTIUS, ein juristisch geschultes, universell gebildetes, staatsmännisch
erfahrenes Mitglied der europäischen Gelehrtenzunfi, unternahm es, aus seinem Vaterlande
vertrieben, in diesem Hauptwerk seines Lebens, unter den Schrecknissen des Dreißigjährigen
Krieges, die Realität einer zwischen den Staaten auch im Kriegszustand geltenden recht-
lichen Ordnung nachzuweisen und deren Inhalt zu entwickeln. Bei Lösung dieser Aufgabe
hat er das Rechtsbewußtsein seiner Zeit zum erstenmal nach der Zerstörung der mittel-
alterlichen Weltanschauung in abschließender Systematik großartig zusammengefaßt. Alles
Recht, so lehrt er, finde seinen letzten Grund in der Natur des Einzelmenschen, als eines
mit Vernunft ausgestatteten geselligen Wesens. Vernunftgemäße Erkenntnis ergebe das
Vorhandensein rechtlicher Gebote und Verbote, ohne die menschliches Zusammenleben nicht
bestehen könne. Sie seien unabänderlich und universell, vor allen positiven Ordnungen
vorhanden, für die sie Grundlage, Maßstab und Schranke bildeten. Ihr Inbegriff stelle das
jus naturae dar, welches teils durch logische Schlüsse abgeleitet, teils aus der allgemeinen
Zustimmung deduziert werde. Dieses natürliche, mit dem menschlichen Individuum ge-
gebene Recht beherrsche alle menschlichen Beziehungen, sei demnach auch auf die Be-
ziehungen staatlicher Verbände anzuwenden. Daneben aber gebe es für die Staaten ein
Recht, das seine Quelle im Konsense aller, oder wenigstens der kultivierten Völker finde,
demnach den Charakter eines konstituierten, also abänderlichen und willkürlichen Rechtes
trage. Dieses sei das jus gentium im eigentlichen Sinne, ein Gegensatz zum jus naturale,
Die solchergestalt von GROTIUS aus der absoluten Persönlichkeit des Einzelindividuums
hergeleitete Begründung des Völkerrechts, die in der seltsam privatrechtlichen Systematik
und Terminologie dieses von ihm geschaffenen Wissenskreises bis auf den heutigen Tag
verwirrend nachklingt, verschuldete, daß die neue Lehre von der an GROTIUS anknüpfenden
Schule zunächst nur als angewandtes Naturrecht, nämlich als das Recht der im Naturzustand
miteinander lebenden Staaten begriffen wurde. Damit erhielt die Völkerrechtswissenschaft
einen ausgeprägt doktrinären Charakter. Das positive Element trat in den Hintergrund.
Immerhin wurde diesem „natürlichen“ Völkerrecht methodische Selbständigkeit zuteil durch
das Werk eines der Häupter der Halleschen Naturrechtsschule, des Rechtsphilosophen
CHRISTIAN WOLFF (1679 — 1754): „Jus gentium methodo scientifica pertractatum“ 1749. Der
Ruhm, dieses System popularisiert und in die große Welt eingeführt zu haben, gebührt
dem vielgebrauchten Buche eines schweizerischen Diplomaten EMERIC DE VATTEL
(1714—1767): „Le droit des gens ou principes de la loi naturelle appliques & la conduite
et aux affaires des nations et des souverains‘“ 1758. Ed. par PRADIER-FODERE I—III 1863.
Demgegenüber erwarben sich das Verdienst, auf Verträge und Herkommen, als die vor-
nehmsten Quellen des tatsächlich geltenden Völkerrechts hingewiesen zu haben, der hol-
ländische Jurist C. VAN BYNKERSHOEK (1673—1743): „Quaestionum juris publici libb. duo.“
1737; der Franzose G. B. DE MABLY 1709—1785): „Le droit public de l’Europe fonde sur
les traite&s“ 1754; und vornehmlich der ehrwürdige schwäbische Staatsgelehrte JOHANN
JAKOB MOSER (1701—1785) durch seine zahlreichen, auch dieser Rechtsdisziplin gewidmeten
Sammelwerke. Mit der Lehre und den Schriften des Hamburgers GEORG FRIEDRICH
v. MARTENS (1756—1821), einer der Zierden der Göttinger Hochschule, hat sie im wesent-