Full text: Systematische Rechtswissenschaft (Teil 2, [Häflte 2], Abteilung 8)

} RUDOLPH SOHM: Bürgerliches Recht. — Einleitung. 
deutschen Rechtsgelehrten waren nur des fremden römischen, nicht des 
deutschen Rechts gelehrt. Die deutsche Rechtswissenschaft war eine 
Tochter der italienischen. Die deutschen Juristen hatten in Italien das 
römische Recht als das überall Geltung begehrende Weltrecht studiert. 
Sie hatten an der Hand der italienischen Juristen die römischen Rechts- 
begriffe in sich aufgenommen. Diese von innerer Klarheit strahlenden 
Rechtsbegriffe erschienen ihnen als durch die Natur der Dinge selbst ge- 
geben, als von ewig gültiger Art. So wandten die deutschen Juristen 
zwar das einheimische deutsche Ortsrecht an, soweit es durch den Buch- 
staben eines Statutes, Gesetzes oder durch unzweifelhafte Rechtsgewohnheit 
gedeckt war, Denn sie lebten keineswegs der bewußten Absicht, deutsches 
Recht abzuschaffen. Soweit es aber an deutlich herausgearbeiteten kate- 
gorischen örtlichen Rechtssätzen fehlte — und das war natürlich in sehr 
weitgreifendem Maße der Fall —, schöpften sie das anzuwendende Recht 
nicht aus dem Geiste der einheimischen Ortsrechte (diesen Geist zu be- 
schwören hatten sie nicht gelernt), sondern aus dem Geiste des römischen 
Rechts, d. h. aus den römischen Rechtsbegriffen, diesen von der Wissen- 
schaft vertretenen, allein möglich scheinenden Rechtsbegriffen. Durch 
das Mittel der gelehrten Rechtsprechung drang darum überall im deutschen 
Reich das römische Privatrecht (das sog. Pandektenrecht) in die „Lücken“ 
der deutschen Partikularrechte ein. Das römische Recht ward, wenngleich 
mit gewissen Änderungen, die teils die Reichsgesetzgebung, teils die 
Rechtswissenschaft durchsetzte, um das Recht des Corpus Juris für uns 
geschickt zu machen, gemeines deutsches Privatrecht des heiligen 
römischen Reiches. In dieser Form ward das Bedürfnis der Zeit nach 
einem neuen Recht befriedigt. Es war ein dem Verkehre zugewandtes 
Recht gewonnen worden. Das Meisterstück des römischen Privatrechts war 
gerade das Recht der Schuldverhältnisse, d. h. der dem Austausch von Ver- 
mögensleistungen dienende Teil des Privatrechts. Deutschland war damit 
zu einem gemeinen und zu einem bürgerlichen, allerdings nur zu 
einem bürgerlichen Recht römischer Art gelangt. Die Aufgabe der 
Zukunft war, das nunmehr bei uns zur Geltung gelangte römische 
bürgerliche Gesetzbuch durch ein deutsches bürgerliches Gesetzbuch zu 
ersetzen. 
Gegensatz Il. Die Kodifikationen. Die Folge der Aufnahme des römischen 
a Rechts war zunächst der Dualismus zwischen dem gemeinen Recht einer- 
Partikularrechts. seits und dem Partikularrecht anderseits. Das gemeine im ganzen Reiche 
gültige Recht fiel in der Hauptsache mit dem fremden Recht zusammen. 
Es war durch die Aufnahme des fremden Rechts erzeugt worden. Das 
gemeine deutsche Privatrecht war wesentlich Pandektenrecht. Die Parti- 
kularrechte, also die deutschen Landrechte, Stadtrechte, Ortsrechte, be- 
deuteten umgekehrt die noch aufrecht gebliebenen Reste des einheimisch 
deutschen Rechts. Das partikuläre Privatrecht, z. B. das eheliche Güter-
	        
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