Full text: Einleitung in die Philosophie

80 5810. Die praktischen Probleme in der dogmatischen Philosophie. 
als Bedingung für die moralische Wertung unserer Entschlüsse 
und für unsere „moralische Verantwortlichkeit“ ist mit der be- 
zeichneten Bedingung identisch. Die Lösung des ethischen 
Problems ist daher abhängig von der Entscheidung der Frage, 
wie weit die Erkenntnis einer Norm unser Verhalten be- 
stimmen kann. Eine metaphysische Überzeugung, welche die 
Möglichkeit solcher Bestimmung durchgängig verneint — 
indem sie etwa unser Wollen wie unser Handela durch phy- 
sische Vorgänge oder durch einen übergeordneten gött- 
lichen Willen eindeutig bestimmt sein läßt — hat für das 
moralische Werturteil keinen Platz; jede derartige Metaphysik 
muß daher folgerichtig zur Ablehnung des ethischen Problems 
führen. Vielfach freilich vollzieht sich in solchem Falle die 
ethische Untersuchung ‘trotz aller entgegenstehenden meta- 
physischen Überzeugungen: das ethische Bedürfnis ist zu 
mächtig, als daß es sich dauernd unter den negativen Sehieds- 
spruch der metaphysischen Theorie beugen ließe. 
Die dritte‘ Bedingung für die Lösung des ethischen Pro- 
bleme endlich besteht in der vollständigen Analyse der 
psychischen "Tatsachen, auf weiche unsere Normbegriffe sich 
gründen. Solange diese Analyse unvollständig bleibt, bleibt 
auch die Antwort auf die ethischen Fragen ungenügend und 
muß notwendig zu neuen Fragestellungen führen. 
Die typischen Formen, welche die ethische Theorie auf 
Grund, der fortschreitenden Vervullständigung dieser Analyse 
angenommen hat, würden zwar als soiche erst bei der Be- 
trachtung der psychologisch-erkenntnistheoretischen Phase der 
Philosophie zur Sprache kommen müssen. Da jedoch die Ein- 
wirkung der metaphysischen Theorien auf die ethische Unter- 
suchung nicht ohne die Kenntnis dieser Entwicklung zu 7er- 
stehen ist, so muß die letztere schon hier Erwähnung finden, 
soweit sie sich gleichzeitig mit der Entwicklung der meta- 
physischen Speculation vollzogen hat. Ich schicke daher einen 
Überblick über die entsprechenden unvollständigen Lösun- 
gen des ethischen Problems an dieser Stelle voraus. 
Unter allen Begriffen, welche als Triebfedern unseres 
Strebens auftreten, scheint der primitivste derjenige unserer
	        
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