Full text: Einleitung in die Philosophie

Die praktischen Probleme in der dogmatischen Philosophie. 
— einen Wertmaßstab aufzusuchen, welcher zugleich dem 
eudämonistischen Prineip und dem genannten Zusammen- 
hange Rechnung trägt. 
Am nächsten lag es, einen solchen Maßstab in den 
fraditionellen timetischen Moralbegriffen zu suchen, welche 
der Hedonismus scheinbar überwunden hatte. War der Hedonis- 
mus widerlegt, so wurde auch seine Negation jener vorwissen- 
schaftlichen Moralbegriffe hinfällig. Diese aber hatten nicht 
nur die Gewohnheit und die Überzeugung des naiven Bewußt- 
seins für sich, sondern sie schienen in der Tat gerade den 
Vorzug jener Weitsichtigkeit aufzuweisen, die dem hedo- 
nistischen Princip fehlte. Die traditionellen Normbegriffe 
lassen ja die Rücksicht auf die erfahrungsmäßigen Folgen 
unserer Handlungen nirgends außer Acht: Tugend und Pflicht 
scheinen sich im Gegensatze zur hbedonistischen Willkür eben 
durch die Rücksichtnahme auf die vielfältigen Folgen unseres 
Tuns und Lassen: zu bestimmen. Gelang es daher, diese 
Normbegriffe überdies aus dem eudämonistischen Prineip 
abzuleiten, so konnte man sich im Besitz der endgültigen 
Lösung des ethischen Problemes glauben. 
Daß aber im der Tat jene Normbegriffe dem eudämo- 
nistischen Prineip aufs vollkommenste entsprechen, daß Tugend 
allein zur vollen Glückseligkeit nicht nur erforderlich, sondern 
auch hinreichend sei, schien deutlicher als jede theoretische 
Ableitung das Beispiel des Weisen zu zeigen, der sich auf 
Grund seines Verhaltens einer in seinem Innern festgegrün- 
deten Glückseligkeit, einer durch keine äußere Verwicklung 
zu erschütternden Heiterkeit der Seele erfreuen durfte. Seit 
der Zeit, in welcher zum ersten Mal ein solches Vorbild seinen 
Zauber übte, ist das Ideal des Weisen als Leitstern der 
ethischen Bestrebungen nicht mehr in Vergessenheit geraten. 
Dieses Ideal blieb jedoch zunächst dogmatisch, insofern nur 
im Einzelnen gezeigt wurde, wie ein im Anschluß an das 
historische Vorbild gezeichnetes ideales Verhalten mit der 
eudämonistischen Forderung übereinstimme, die positiye Be- 
stimmung jener „Tugend“ dagegen, die dem Weisen eigen- 
tümlich ist, nicht geleistet wurde. Durch die Gleichsetzung 
der Tugend mit dem „rechten Wissen“, der „Weisheit“ oder
	        
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