Full text: Einleitung in die Philosophie

Tonische Naturphilosophie. 23 
Hier zum ersten Mal tritt uns der wissenschaftlich bestimmte 
Begriff des einhsitlichen Weltprincips entgegen, der doyu oder 
des Urwesens, aus welchem alles entstanden ist und welches 
allen Dingen der Welt zu Grunde liegt und innewohnt. Das- 
selbe Streben, welches schon im natürlichen Weltbilde zur 
Verbindung der Erscheinungen mittels des Begriffes beharr- 
licher Dinge führt, richtet sich hier auf die (Gesamtheit aller 
Erscheinungen und verknüpft sie in demselben Sinne durch 
den Begriff des ihnen allen zu Grunde liegenden beharrlichen 
einheitlichen Seins. 
Mit der uns geläufigen Stoffvorstellung darf das letztere 
auf der hier betrachteten Stufe des Denkens nicht gleichge- 
setzt werden; die Stoffvorstellung entwickelt sich erst auf Grund 
weiterer Gedankengänge, mit denen wir uns in den folgenden 
Abschnitten beschäftigen werden. 
Thales, der wohl zuerst den Begriff dieser einheitlichen 
doyz gewonnen hat, gibt dem Princip eine handgreiflich sinn- 
liche Bestimmung, indem er das Feuchte als das Urwesen 
der Welt bezeichnet; Anaximander bestimmt den Begriff der 
goxN als den des „Unbegrenzten“ mit der Begründung, daß 
gie sich in der Erzeugung oder Ausscheidung des Einzelnen 
nicht erschöpfen dürfe. Bin consequentes Denken mußte dieses 
Unbegrenzte auch in qualitativer Hinsicht als ein Unbe- 
bestimmtes verstehen im Gegensatze zur Bestimmtheit der 
einzelnen Erscheinungen, die daraus durch „Begrenzung“ her- 
vorgehen sollten -— zugleich folgerichtig als ein Unwahr- 
nehmbares, da jede wahrnehmbare Erscheinung durch ihre 
lichkeit an das Herkommen, sondern aus sachlichen Gründen. MKiner- 
seits heben sich gerade in den uns überlieferten Bruchstücken der grie- 
chischen Philosophie die verschiedenen Phasen des dogmatischen Denkens 
klar von einander ab, so daß die entsprechende Entwicklung der Begriffe 
und Probleme sich an derselben deutlich verfolgen läßt. Andererseits 
ist. die gesamte spätere Entwicklung der Philosophie — wie der übrigen 
abendländischen Cultur — durch das von den Griechen geschaffene 
Fundament bedingt und wird nur dem verständlich, der die von der 
griechischen Philosophie geprägten Begriffe und Fragestellungen kennt. 
Die primitiven philosophischen Bestrebungen anderer Völker haben im 
Gegensatze zu denen der Griechen auf die Weiterbildung der Probleme 
und der Versuche zur Lösung derselben entweder überhaupt nicht oder 
erst sehr spät Einfluß gewonnen. 
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