Full text: Einleitung in die Philosophie

102 812. Sein und Schein. Die eleatische und die heraklitische Welt. 
stimmter Schattierung sehen und daß wir ein solches Bild 
von jeder Seite her erhalten? Die Berührungsempfindungen, 
die wir ev. beim Betasten des Gegenstandes erhalten, fügen 
jenen „sichtbaren“ Eigenschaften eine neue Erfahrung über den 
Gegenstand hinzu; aber wiederum ist die beharrliche Eigen- 
schaft, die wir dem Dinge auf Grund dieser Erfahrung beilegen, 
nichts anderes als die Gesetzmäßigkeit, daß wir beim 
Ausstrecken der Hand nach jener Stelle eben diese Berührungs- 
empfindungen erhalten und daß dieselben sich bei bestimmter 
Art der Fortbewegung unserer Hand —— beim „Hingleiten an 
dem Gegenstande“ — in bestimmter gesetzmäßiger Folge an- 
einander anschließen. Was wir die sichtbare Kugelform des 
Gegenstandes nennen, ist tatsächlich nichts Anderes als jener 
erste gesetzmäßige Zusammenhang — daß uns nämlich der 
Gegenstand von jeder Seite dieselbe kreisförmige Erscheinung 
darbietet. Daß diese Erscheinung des Dinges im Tageslicht 
sich jederzeit blau darstellt, ist die Gesetzmäßigkeit, die uns 
berechtigt, vom.Dasein eines blauen Gegenstandes an dieser 
Stelle zu sprechen. Nichts Anderes als compliciertere derartige 
Gesetzmäßigkeiten der Erscheinungen sind es, die. wir als .die 
physikalischen und chemischen Eigenschaften der Gegenstände 
bezeichnen. Dean nur eben die Erscheinungen, die der 
Gegenstand uns unter bestimmten Bedingungen zeigt, können 
uns über seine. Eigenschaften belehren, und nur das Gesetz, 
nach welchem wir jedesmal die betreffende Beobachtung unter 
den betreffenden Bedingungen machen, können wir als dauernde 
Tatsache im Gegensatze zu dem jeweils bloß augenblicklichen 
vergänglichen Dasein jener Erscheinungen bezeichnen. 
Wie wir dazu gelangen, aus unseren Erfahrungen auf die 
allgemeine Gültigkeit jener Gesetzmäßigkeiten zu schließen, 
die den Wechsel der Erscheinungen: beherrschen, ist eine Frage, 
mit der sich das philosophische Denken erst in einer weit 
späteren Phase beschäftigt. Auch die eben wiedergegebenen 
Überlegungen werden zunächst noch keineswegs mit hin- 
reichender Klarheit und Consequenz durchgeführt, um ihnen 
über die naiv-naturalistische Ansicht dauernd das Übergewicht 
zu sichern. Immerhin übt die Lehre von der Realität der 
Erscheinungswelt und des Flusses ihrer Änderungen
	        
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