Full text: Einleitung in die Philosophie

Heraklitische Philosophie. 3 
auf die folgende Entwicklung einen bedeutsamen Einfluß aus; 
die schließlich eintretende idealistische Wendung der antiken 
Philosophie ist wesentlich auf diesen Einfluß zurückzuführen. 
Die Lehre vom Fluß des Weltganzen und dem be- 
harrlichen Gesetz in diesem Flusse der Erscheinungen ist 
das Werk Heraklits. Nur der Schein der Sinne ist es nach 
ihm, der zu der irrtümlichen Annahme eines beharrlichen Seins 
geführt hat; das verständige Denken zeigt uns, daß Alles sich 
in beständigem Wechsel befindet: xdyrt« Ost, „alles fließt“ In 
naturalistischem Gewande freilich erscheint diese Lehre, wenn 
das Feuer als das Urwesen (richtiger vielleicht als das Ur- 
bild) aller Erscheinungen bezeichnet wird. Sowie die Flamme 
scheinbar beharrlich sich den Sinnen darstellt, während sie 
tatsächlich nur durch einen Proceß fortwährender Änderung 
sich erhält, so ist das scheinbar beharrliche Dasein aller Dinge 
nur ein fortwährendes Entstehen und Vergehen, ein stationärer 
Zustand ununterbrochenen Wechsels. In diesem Wechsel aber 
herrscht nicht Willkür, sondern festes Gesetz: über allen 
Änderungen thront die siuaopEnn oder der Logos, das all- 
waltende Geschick, das dem Ablauf der Erscheinungen seine 
Regel vorschreibt. 
Mit der hier vollzogenen Umwertung des Gegensatzes von 
Erscheinungswelt und beharrlichem Sein ergibt sich zugleich 
als notwendige Folge die Umkehrung des Grundproblems 
der philosophischen Speculation. Nicht mehr um die 
Erklärung der Erscheinungswelt aus dem bleibenden Sein kann 
es sich vom heraklitischen Standpunkte aus handeln, sondern 
vielmehr nur ur die Frage, wie das menschliche Denken von 
dem Fluß der Erscheinungen aus zu dem Begriff des bleiben- 
den Seins gelangt. Diese erkenntnistheoretische Fragestellung 
mußte im Verfolg der heraklitischen Anschauung notwendig 
hervortreten. Wie weit Heraklit selbst ihr nahe gekommen 
ist, vermögen wir nicht mehr festzustellen. Jedenfalls aber 
‚weist seine Lehre den Weg, auf welchem die Philosophie sich 
von den Fesseln des Dogmatismus befreien und zu ihrem letzten 
Ziele gelangen konnte, Daß sie freilich diesen Weg sogleich 
einschlagen werde dürfen wir nicht erwarten. Die natura- 
listischen Begriffe wurzeln zu tief im menschlichen. Denken, 
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