Full text: Einleitung in die Philosophie

104 $ 12. Sein und Schein. Die eleatische und die heraklitische Welt. 
als daß sie einem Lichtstrahle wahrer Erkenntnis widerstands- 
Jos. weichen sollten. Die „dunkle“, weil den gewohnten Be- 
griffen widersprechende Lehre des Heraklit blieb unverstanden: 
die in den naturalistischen Voraussetzungen befangene Specu- 
lation eignete sich von ihm nur diejenigen Elemente an, die 
zur Weiterbildung! der Naturerklärung im bisherigen Sinne 
dienlich erschienen, ohne die neuen Bahnen zu sehen, die er 
dem philosophischen Denken gewiesen hatte. 
Hinsichtlich der ethischen Fragen gilt für die eleatische 
wie für die weitere nalv-monistische Philosophie dasselbe, was 
oben ‘ bezüglich der primitiven Phase der metaphysischen 
Speculation zu bemerken war: solange die Systematik des 
philosophischen Denkens ausschließlich auf die Erklärung der 
objectiven Welt abzielt, hat sie für die Probleme des geistigen 
Lebens keinen Raum. Auch wo ethische Fragen außerhalb 
des Zusammenhanges der naturphilosophischen Speculation aus 
irgend einem Grunde das Interesse auf sich ziehen, können sie 
dem wissenschaftlichen Welisysteme nicht eingereiht werden 
oder wenigstens innerhalb desselben keine positive Lösung 
finden, solange dieses System auf dem naiv-monistischen Stand- 
punkte beharrf. Da der naturalistische Monismus die Bewußt- 
seinserscheinungen als solche nicht beachtet, oder, wo sie etwa 
der Betrachtuug sich aufzudrängen beginnen, sie rein negativ 
bewertet, so müßte auch seine Antwort auf die ethischen 
Fragen notwendig negativ ausfallen, sobald diese im Zusammen- 
hang des Systems entwickelt werden sollten. Wie die sinn- 
lichen Erscheinungen, so müssen in diesem Zusammenhang 
auch die emotionellen Factoren, die den ethischen Fragen 
zu Grunde liegen, zu Trugbildern werden, die vor der Er- 
kenntnis. des wahren Seins in nichts zerfließen. Nur für die 
beschränkte‘ menschliche Auffassung besteht somit der Unter- 
schied von Gut und Böse, von Recht und Unrecht: dem Weisen 
müssen diese Unterschiede schwinden -— gleichviel ob er alle 
Handlungen in gleichem Maße als bedingt durch die Einheit 
des Naturgeschehens erkennt und folgerichtig die mensch- 
liche Freiheit samt allen vermeintlichen Normen des Handelns 
negieren muß, oder ob diese Handlungen selbst als „bloße
	        
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